Phönix75 hat geschrieben: ↑Sonntag 30. März 2025, 12:43
Nunja, dass ist doch augenscheinlich und an Zahlen sehr eindeutig. Dafür bräuchte es kein Buch. Da es weniger getötete Menschen auf der Welt (durch was für Gewalttaten auch immer), als neu geborenen Menschen gibt, sollte klar sein, dass Kriege "garnicht so verheerend" sind.
Gegrillte Federmensch, Du enttäuschst mich.
1. Immer wenn Leute behaupten, etwa wäre augenscheinlich oder offensichtlich bei komplexen und globalen Themen, lohnt sich der Blick in die Daten. Sonst ist sowas immer nur eine Annahme. Annahmen sind Meinungen, keine "Hard Facts". Meinungen sollte man misstrauen, auch der eigenen, solange bis man die Argumente bewusst abgewogen hat.
2. Es ging nicht darum, dass Kriege "nicht so verheerend" oder doch irgendwie okay wären. Es geht in dem Buch die Fragestellung, ob es überhaupt positive Effekte langfristiger Natur durch Kriege gibt. Völlig unabhängig von der Wertung des Krieges ob schlimm oder nicht. Tatsächlich verharmlost der Autor Krieg im Buch ausdrücklich nicht, was man bei dem Titel nicht zwingend vermuten würde.
3. Wenn Du die meisten Leute fragst, würden sie aus dem Bauch heraus positive Effekte des Phänomens Krieg sicherlich verneinen, zumindest hierzulande. Die meisten halten - erfreulicherweise, würde ich meinen - Krieg für etwas schlimmes und entsetzliches und lehnen den Gedanken, Kriege könnten positive Nebenwirkungen haben, vom Fleck weg ab. Die meisten halten sie für die Quelle allen Übels (und vermeiden die Diskussion, ob Kriege oft nicht eher das Symptom der Übel sind, aber das ist ne andere Frage). So augenscheinlich und eindeutig kann das also gar nicht sein.
4. Du verkürzt Deine Argumentation auf die jetzige Weltsituation und sagen wir mal die letzten 100 Jahre, wenn ich das richtig verstanden hab. Der Autor des Buches diskutiert das aber gesamtgeschichtlich. Von den Jäger und Sammlern bis heute. Und da wird die Behauptung schon wesentlich weniger offensichtlich. Es muss dann durch die Geschichte durch anhand empirische Befunde, die im besten Fall zu verwertbaren Zahlen und Statistiken führen, gezeigt werden, dass die These stimmt.
5. Außerdem beschäftigt sich das Buch auch mit den daran angrenzenden Fragestellungen - warum es trotzdem richtig ist, Krieg zu vermeiden, warum die gleichen Effekte nicht anders erzielt werden konnten usw. (zumindest wenn ich das richtig in Erinnerung hab, ist jetzt schon ein paar Jahre her, dass ich es gelesen hab). Mag Dir vielleicht alles furchtbar unnötig erscheinen, aber ich hab die Erfahrung gemacht, es ist bei wichtigen Dingen wichtig, Implizites explizit zu machen.
Ich fand das Buch jedenfalls sehr erhellend und mal aus dem sonst üblichen deutschen Diskurs wegführend (wobei sich das seit der Ukraine-Invasion seit 2022 etwas relativiert hat). Das einzig unnötige daran war für mich das letzte Kapitel.
Um Dein Beispiel von Deutschland nach dem 2. Weltkrieg aufzugreifen: Glaubst Du ernsthaft die Leute haben sich hier 1946 hin gesetzt, sich die Ruinen angeguckt und gesagt: "Ilse, lass mal da hinter die Mauer gehen, bumsen, gegen dieses Elend brauchen wir Kinder?" Das ist doch Quatsch und mit Verlaub, deckt die Datenbasis auch nicht ab. Genaugenommen gibt es zwischen 1945 und 1950 keine soliden Zahlen, zumindest hab ich bei Statista und dem Institut für Bevölkerungsentwicklung da immer Lücken gefunden. Anfang der 1950er Jahre war die Geburtenrate dann in Westdeutschland kaum merklich über dem Niveau der 30er Jahre (2,11 Kinder pro Frau; 30er Jahre: 2,08). In Ostdeutschland war es dagegen schon höher (2,35 Kinder pro Frau). Erst Mitte der 50er Jahre stiegen die Zahlen an, in beiden Teilen Deutschlands, im westlichen Teil stärker, bis sie um 1965 einen Spitzenwert von mehr oder weniger 2,5 Kindern pro Frau erreichten (West: 2,51, Ost: 2,48). Das hat tatsächlich gar nichts damit zu tun, dass man den Nachwuchs brauchte um das Land aufzubauen. Im Gegenteil: Die Geburtenraten stiegen erst an, als das gröbste Elend beseitigt war und sich die Menschen überhaupt wieder Existenzen aufbauen konnten. Hier war es tatsächlich umgekehrt: Weil das Land wieder aufgebaut wurde und der Wohlstand wieder zunahm, gab es wieder mehr Kinder.
Das überdeckte tatsächlich aufgrund des außergewöhnlichen Faktors des katastrophal verlorenen Krieges für kurze Zeit den eigentlich ansonsten gut belegten Effekt, dass in einem modernen Industriestaat die Geburtenraten tendenziell rückläufig sind, bis sie sich auf einem niedrigeren Niveau einpendeln. Dieser Effekt setzte sich ab Mitte der 60er Jahre dann wieder aufgrund des "Pillenknicks" durch.
Quellen aus schneller Recherche:
https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/ ... -1871.html ;
https://www.sozialpolitik-aktuell.de/fi ... bVII1b.pdf