Graphiel hat geschrieben: ↑Samstag 27. März 2021, 19:55
Fall jetzt bitte nicht auf Bestätigungsfehler herein und dränge mich in politische Ecken, in die ich nicht hinein gehören will.
Keine Sorge, genau deswegen hab ich ja gefragt.
Und irgendetwas hat man eh mit so ziemlich jeder Gruppe gemein. Die Covidioten hier skandieren ja z.B. gern "Kurz muss weg!". Würde ich prinzipiell sofort unterschreiben, wenn es nicht gerade von ihnen käme.
Ich würde es stattdessen viel mehr begrüßen, wenn wir uns generell auf eine Gesellschaft zubewegen würden,, bei der es scheißegal ist welche Hautfarbe du hast, oder welche Sprache du zu Hause sprichst.
Evanahhan hat geschrieben: ↑Samstag 27. März 2021, 19:00
Mein Ziel wäre eigentlich, dass man sich darüber gar keine Gedanken mehr machen muss, sondern Menschen einfach als Menschen behandeln kann.
Sicher nett gemeint, liest sich aber so wie "Ich will PoC so wie Weiße behandeln, weil ich keinen Bock habe, mich mit Rassismus auseinanderzusetzen und gegebenenfalls mein Verhalten zu modifizieren." Gibt auch einen Ausdruck dafür: Racial Identity Denier. Leider sehr verbreitet.
Außerdem kann ich die Ähnlichkeit zu dem sehr gern von Weißen genutzten (um nicht zu sagen missbrauchten) "I have a dream"-Zitat von MLK nicht übersehen. Was schwer kritisiert wird. Der Typ war ziemlich radikal, aber es wird sich immer nur auf die Fragmente fokussiert, die "harmlos" sind.
Dass das ein Problem ist wurde eigentlich schon recht früh erwähnt, hier ein Beispiel:
"The Dangers of Misappropriation: Misusing Martin Luther King Jr.'s Legacy to Prove the Colorblind Thesis", Ronald Turner, Michigan Journal of Race & Law, 1996 (!) (
Link)
"Once again, recent incidents have revealed that the colorblind thesis, the notion that 'race,' does not or should not matter and that society and its laws are or can be colorblind, is simply unfounded."
Inzwischen wird sogar in der verdammten Teen Vogue darüber geschrieben, siehe
hier.
Was dort auch Erwähnung findet: Schon MLK hat gesagt, dass Weiße einfach zu wenig wissen und auch nicht groß daran arbeiten dazuzulernen. Daran hat sich wirklich wenig geändert.
“Whites, it must frankly be said, are not putting in a similar mass effort to reeducate themselves out of their racial ignorance. It is an aspect of their sense of superiority that the white people of America believe they have so little to learn."
Redet zwar von Amis, kann man aber ganz genauso über D sagen.
Diese Erkenntnisse sind im absoluten Mainstream angekommen (wie gesagt, Teen Vogue), drum wundert es mich ein wenig, dass sie von Euch nicht akzeptiert werden. Ich dachte wirklich, dass das schon längst Allgemeinbildung wär. Grade die Kritik an der "All lives matter"-Sache ist doch eigentlich sehr bekannt.
Außerdem: JETZT sterben Menschen. Und da sollte man JETZT etwas dagegen tun, oder? Nicht irgendwelchen Zukunftsvisionen hinterherschwärmen, die sowieso innerhalb unserer Lebenszeit nicht erreicht werden.
Doch glaube ich eben nicht daran, dass dies erreicht werden kann, indem wir eine dauernde Hexenjagd auf Worte und Menschen machen, in denen wir Unterdrückung zu erkennen glauben.
Nicht "erkennen glauben" sondern "erkennen". Keine "Hexenjagd" sondern Kritik an rassistischen Äußerungen und Strukturen. Nicht "wir" sondern Leute, die sich mit den Themen beschäftigt haben.
Von Rassismus Betroffene erzählen immer wieder und wieder davon, obwohl es schmerzhaft und retraumatisierend ist, drum höre ich auf sie. Wissenschaftler machen nix anderes, als über Rassismus zu forschen, veröffentlichen dazu noch und nöcher, drum höre ich auf sie. Nicht betroffene Laien, die keine drei Bücher dazu gelesen haben, sind in meinen Augen da eine nicht ganz so gute Quelle. Nix für ungut. Aber wenn man sagt, dass man bei Corona lieber auf Experten hört, sollte man doch auch bei anderen Themen lieber auf Experten hören, oder? Es sei denn, man gehört zu den Leuten, die Gesellschaftswissenschaften nicht als "richtige" Wissenschaften betrachten.
Im Moment halte ich vor allem solche Fragen für wichtig wie "Wie kann man verhindern, dass Hanau, Halle, Solingen, Oberwart und ähnliche rassistische Morde nicht mehr passieren? Was kann man gegen das Rassismus-Problem in der Polizei und der Gesellschaft tun?"
Rechter Terror ist ein ziemlich interessantes Phänomen, weil er unorganisiert ist. Stichwort stochastischer Terror (
hier ein Überblick zu dem Thema). Diese Art von Terror wird nicht von Organisationen geplant, sondern sie wird durch Hass, Hetze und Ignoranz wahrscheinlicher(!). Sind es Einzeltäter? Ja, meistens, auch wenn das direkte Umfeld in der Regel nicht grade links ist. Sind es "verwirrte" Einzeltäter, wie so gern behauptet wird? Nein, auf keinen Fall. Sie werden durch das gesellschaftliche Klima geformt.
Ganz schlimme Zündler und Verstärker sind da klassische Medien wie Bild, Welt, NZZ usw., aber natürlich auch diverse andere, deutlich rechtere. Meine persönlich am meisten gehasste Veröffentlichung ist "Die Kehre", ein als Öko- und Landwirtschaftsding getarntes Blatt der Neurechten. Brrrr. Ganz eklig. Aber die etwas mainstreamigeren Zeitungen finde ich fast noch gefährlicher, weil sie den Anschein von Solidität erwecken und vermitteln, dass Rassismus eine "Meinung" sein könne.
Ein ganz großer und wichtiger Aspekt, um das gesellschaftliche Klima zu verbessern, ist eben, dass man Alltagsrassismus erkennt und auch anspricht. Also, mir ist es tausendmal lieber, wenn jemand eine meiner Aussagen oder Handlungen als rassistisch bezeichnet als das rassistische Aussagen oder Handlungen übersehen werden, kleingeredet oder ignoriert. Weil jedes noch so kleine Ding rechten Terror ein bisschen wahrscheinlicher macht.
Mit Sexismus ist es nicht viel anders. Wir haben hier ja grad ein größeres Femizid-Problem. Die Ursachen sind vergleichbar. Aber das würde vom Thema zu weit abgleiten.
Von Rassismus in der Medizin fang ich am besten gar nicht erst an. Das heißt nicht, dass Ärzte bösartig wären und Leute mit dunkler Hautfarbe schlechter behandeln (obwohl das sicher auch vorkommt). Aber zum Beispiel in der Dermatologie sind in Lehrbüchern viel mehr Bilder von Erkrankungen auf weißer Haut zu sehen (Quelle z.B.
hier). Wenn man nicht weiß, wie sich diese Erkrankungen bei dunkelhäutigen Menschen äußern, kommt es einfach häufiger zu Fehldiagnosen.
Aber alles in allem bestätigen die Antworten in diesem Thread nur, was ich eigentlich schon vorher wusste:
Rassismus wird oft nicht erkannt und kleingeredet.
Weiße speziell haben oft wenig Ahnung von Rassismus (mich eingeschlossen, ich hab da ja auch nur an der Oberfläche gekratzt, nur eine Handvoll Bücher dazu gelesen und nur mit einer Handvoll PoC drüber geredet).
Allein schon die Implikation, eventuell rassistisch zu sein, ruft mehr Empörung hervor als eigentlicher Rassismus.