Elric hat geschrieben: ↑Sonntag 19. Juli 2020, 21:52
Da sind auch noch andere, weniger nette Sachen am Start, von wegen "alle Weißen sind per Sozialisation Rassisten"...
Naja. Sicher nicht alle, aber sehr, sehr viele. Mich eingeschlossen. Ich mein, vor zehn Jahren hätte ich mich vermutlich auch noch nicht für rassistisch gehalten, aber ich hab inzwischen da soooo viel dazugelernt. Natürlich noch lange nicht genug, das ist ja eh immer so, dass man seine eigene Ignoranz erst erkennt, wenn man zumindest ein paar Grundlagen kapiert hat. Das Problem ist eben, dass man es selber nicht merkt, und freundlich drauf hinzuweisen wurde lange genug gemacht, hat aber nicht funktioniert. Ich versteh schon, dass manchen Leuten da langsam der Geduldsfaden reißt ...
Gibt da ein nettes Buch von Robin DiAngelo namens
"White Fragility", kann man sich mal anschauen.
Ich schlag mal einen kurzen Bogen zum Feminismus, da kenn ich mich besser aus und die Unterdrückungsmechanismen sind nicht sooooo viel anders als beim Rassismus: Vielleicht ist es einfach auch nur eine Formulierungssache. Ich würde z.B. durchaus sagen, dass die allermeisten Männer direkt oder indirekt von Sexismus profitieren, auch wenn sie es nicht mitbekommen. "Alle Männer sind per Sozialisation Sexisten" ist in meinen Augen keine komplett falsche Aussage, aber stößt sie so sehr vor den Kopf dass sie auf stur schalten und keinerlei Kommunikation mehr möglich ist. Sind halt fragile Wesen.
...was mich anfickt ist dieses geschlossene und meiner Ansicht nach faschistoide Weltbild, daß sich für Nichtweiße Sklavenjäger/halter, Rassisten, Imperialisten, Kapitalisten (haben nicht die Chinesen das Geld erfunden...?) einen "§$%&/()=?=)(/&%$§" interessiert.
Hm. Das mit den "nichtweißen Sklavenhaltern" ist halt blöderweise ein sehr beliebter Whataboutismus, da kann ich schon verstehen, dass das den Leuten inzwischen tierisch auf den Sack geht.
Ich find, dass das ganze Diskriminierungs- und Unterdrückungszeug ein ziemlich undurchsichtiger Mischmasch ist. Klar, es gibt da durchaus passendes Vokabular, z.B.
Kyriarchat, aber um da durchzusteigen muss man sich ein paar Jahre damit beschäftigen. Dafür hab ich nicht die Zeit, leider. Und auch viele andere haben dafür nicht die Zeit. Also wird halt ein wenig vereinfacht. Manchen reichen z.B. die "Big Three", also Rassismus, Sexismus und Klassismus.
Ansonsten gibt's ja den schönen Spruch "Pick your battles". Und wenn sich Leute hauptsächlich gegen Rassismus einsetzen bleibt halt nicht mehr viel Zeit für andere Sachen.
Bei den ganz radikalen Feminist*innen war's nicht anders, für die war (bzw. ist, ein paar sind noch übrig) der Geschlechterkonflikt der Hauptkonflikt, auf dem alle anderen beruhen. So wie früher viele Marxisten den Klassenkonflikt als Hauptwiderspruch sahen, die Frauenfrage als sekundär - die wird angeblich automatisch mitgelöst, wenn das mit den Klassen erledigt ist. Gibt halt immer und überall verschiedene Strömungen und unterschiedliche Radikalitätsgrade, "kennste einen kennste alle" zählt da einfach nicht.
Mittlerweile wird selbst auf den Scheuklappendummheiten der Aufklärung herumgeprügelt, ohne zu fragen, wo die Menschheit ohne dies geistige Rüstzeug wäre.
Auch die Romantik war eine Reaktion auf die als klinisch-kalt empfundene Aufklärung. Sag ja nur.
Und dass z.B. Kant sexistisch und rassistisch war kann man ja schlecht wegdiskutieren, oder? Wenn er von "Menschen" redete meinte er immer nur "weiße Männer". Wie übrigens noch viele, viele nach ihm. Vor im soweiso.
Natürlich war er wichtig und relevant, aber nicht der Weisheit letzter Schluss und eben auch ein Kind seiner Zeit und der Umstände. Viele seiner Aussagen sind keinen Deut besser als "Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus."
Lustigerweise kenn ich das auch vom Bereichen des Feminismus, dass da rumgenölt wird, dass "männliche" Ratio zu sehr betont wird und man den "weiblichen" spirituellen Seiten mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen soll - damit bestärken sie nur die vorhandenen Vorurteile. Bin ich natürlich kein Fan von, wenig überraschend. Ist aber nur ein sehr kleiner Teil der Leute, soweit ich das überblicken kann; nur weil's ein paar seltsame Feminist*innen gibt bin ich immer noch eine. Wär ja schön doof, denen das Feld zu überlassen, nicht wahr?
Übrigens geht es nicht nur den Aufklärern so. Auch die von mir hoch verehrte Frau de Beauvoir muss einstecken. Klar, sie hat grundlegende Sachen geschaffen, aber trotzdem ist ihr Feminismus europäisch, weiß, bürgerlich und intellektuell. Das trifft ja nun nicht auf so wahnsinnig viele Leute zu.
So, ich glaub das reicht erstmal. Könnte natürlich noch seitenweise schreiben, aber das liest sich ja kein Mensch bei gesundem Verstand durch.