Heimfinderin hat geschrieben: ↑Dienstag 29. Oktober 2019, 12:05
Mich würde interessieren, was der Nährboden für "grundsätzlich fremdenfeindliche Einstellung" ist, wie es dazu kommt.
Ich glaub da gibt es viele, viele Faktoren, die sich auch gegenseitig beeinflussen. Da gibt es keine einfache Antwort.
Disclaimer: Ich bin weder Psychologe noch Soziologe, und ich kenn mich auch nicht besonders gut damit aus - Menschen sind mir einfach zu kompliziert.
Das folgende ist also maximal Küchenpsychologie, aber wer Zeit und Nerven hat kann sich ja gern weiter in das Thema vertiefen.
Ein Ding ist das, was schon Grauer Wolf erwähnt hat: Die Angst vor dem Unbekannten. Das ist jetzt etwas vereinfacht ausgedrückt, wenn man etwas genauer sein will kann man auf das hier schon mehrfach angesprochene
Ingroup-Outgroup-Modell schauen. Andere Gruppen werden (unter anderem) abgewertet, wenn man selber wenig Selbstwert hat. Und Menschen aus dem Osten wurden ja recht lang als Deutsche zweiter Klasse gesehen, bzw. haben sich so gefühlt. Also müssen sie sich jemanden suchen, auf den sie möglichst undifferenziert herabschauen können und wo sie ihren aufgestauten Frust loswerden können.
Im Prinzip ist das ja nichts schlimmes, hier wird ja auch zwischen "den Schwarzen" und "den Stinos" unterschieden, also zwischen "uns" und "den anderen" - und auf letztere wird halt gern mal geschimpft und wenig differenziert. Ganz normales Phänomen.
In dem oben verlinkten Artikel wurde auch das Konzept
Autoritäre Persönlichkeit angesprochen. Wahnsinnig komplizierte und heiß diskutierte Sache, schon seit Jahrzehnten - Adorno hat da einiges drüber geschrieben. Ich denke aber, dass da schon was dran ist - die DDR war ja eine hochgradig autoritäre Gesellschaft, das färbt ab. Nicht etwa, weil sich Leute durch Leistung und Fähigkeit Autorität erarbeitet haben, sondern parteipolitisch gesehen. Die BRD hatte ja wenigstens die 68er, die da ein bisschen für frischen Wind gesorgt haben ...
Und ich sehe immer wieder Sachen, die diese Theorie unterstützen. Wien ist ja tendenziell eher rot, die Boho-Bezirke sehr grün. Aber es gibt bei mir um die Ecke einen erschreckend blauen Wahlsprengel, wo hauptsächlich FPÖ gewählt wurde. Das ist ein
Polizistenwohnheim - und es gibt ja kaum autoritärere Systeme als Polizei und Militär. (Wenn die da was von "nicht mehr sicher in Wien" schreiben ist das natürlich kompletter Kappes - Wien ist eine der sichersten Städte der Welt.)
Wenn man dann noch einen Ausflug in die Persönlichkeitspsychologie macht: Es gibt ja das
Big-Five-Modell. Und ich kann mich dran erinnern, irgendwo gelesen zu haben, dass besonders die Kombination "niedrige Offenheit für Erfahrungen" mit "geringer Verträglichkeit" häufig bei Leuten vorkommt, die zu Fremdenfeindlichkeit neigen. Interessanterweise ist das tatsächlich zu einem gewissen Teil vererbbar, man kann aber selbstverständlich immer noch dran arbeiten - Gewicht ist ja auch zu einem Teil Veranlagung, aber damit es wirklich entgleist müssen da mehr Umstände dazukommen. Und natürlich wird nicht jeder, der misstrauisch und streitfreudig ist, automatisch ein Nazi, genauso wenig wie jeder, der ungern sein Dorf verlässt, ein Nazi wird. Aber es sind halt Risikofaktoren.
Ich hab ja irgendwie den Verdacht, dass manche Leute das lesen werden als "Schlechtheit ist angeboren". Nein. Nein, ist es nicht. Es ist nur eine Summe von Persönlichkeitseigenschaften, die, je nach Umständen, positiv oder negativ sein können. Wenn man zu offen für Erfahrungen ist und jeden Pilz probiert ist man schnell tot. Wenn man zu wenig offfen für Erfahrungen ist und nur das isst, was man kennt, ist man irgendwann auch tot, nämlich wenn nach einem Wetterumschwung auf einmal andere Sachen wachsen die neu für einen sind. Eine Gesellschaft braucht beides: "Tester" und "Bewahrer". Oder halt "Progressive" und "Konservative".
Und genauso ist das mit der Verträglichkeit: Wenn man zu vertrauensselig und ständig nur auf Harmonie aus ist ist man wenig widerstandsfähig. Wenn man ständig nur aggressiv ist bleiben nur Tote übrig. Man braucht also auch beides.
Der Einfachheit halber hab ich das jetzt mal schwarzweiß gezeichnet, natürlich gibt es nicht nur zwei Extreme, die meisten Leute (und auch Tiere, für die trifft das imho genauso zu) sind irgendwo dazwischen.
Und es ist ja nicht nur der Osten - auch Kärnten hat den Ruf weg. Die FPÖ fährt da immer ihre besten Wahlergebnisse ein. Zu einem gewissen Teil dürfte da die Geographie reinspielen - die Berge sind dort so unglücklich verteilt, dass alles dort jahrhundertelang sehr isoliert lag. Im Vergleich zur Steiermark gab es dort kaum Bodenschätze, also hat auch die Industrialisierung lang auf sich warten lassen, was natürlich zu Frust führte. Sehr autoritäre, patriarchalische Strukturen herrschten dort obendrein. Mit den Slowenen in Südkärnten hatte man dazu auch noch ein passendes Feindbild. Ist alles natürlich noch um einiges komplexer, klar, und die Geschichte spielt da auch noch massiv mit rein. Simple, eindimensionale Antworten gibt es da jedenfalls nicht. Aber das hab ich ja schon am Anfang gesagt.
Edit: Schönes kleines
Meinungsstück zu Kärnten. Ich stimme nicht mit allem überein, viele Sachen versteht man als Außenstehender sowieso nur schwer (z.B. wieso es relevant ist, dass Haider nicht singen konnte und das erst lernen musste - anscheinend singen Kärntner wohl gern und viel). Aber ich finde es immer sehr hilfreich, wenn man mental mal einen Schritt zur Seite macht und von außen auf Probleme schaut. Als Deutscher hat man zu Kärnten nämlich ein deutlich distanzierteres Verhältnis als zu Thüringen und kann das emotionsloser beurteilen, das sorgt für einen Shift im Mindset. Und wenn man dann wieder zu Thüringen zurückgeht sieht man die eine oder andere Sache vielleicht etwas anders, weil die Gedanken aus ihren eingefahrenen Gleisen rausgekommen sind.