Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?
Verfasst: Dienstag 11. Juni 2019, 11:47
Hm... Wo fange ich bei diesem am besten Thema an? Vielleicht damit, dass ich zunächst einmal etwas meinen Blickwinkel beschreibe, aus dem ich heraus meine Idee zu diesem Thema einnehme. Als ich mich zur Jahrtausendwende der Szene anschloss, bestand diese bereits aus einer wilden Mischung völlig verschiedener Genres. Wenn man wie ich damals (noch völlig grün hinter den Ohren) einen der größeren Clubs betrat, wurde man sogleich mit der "bunten" Mischung konfrontiert, die wir im Grunde auch heute noch auf den verschiedensten Veranstaltungen sehen können. Die heutzutage oft kritisierte Toleranz der Szene wurde quasi bereits voll ausgelebt, von irgendeiner Unaufgeschlossenheit gegenüber Grünschnäbeln wie mir habe ich damals so gut wie gar nichts mitbekommen. "Du interessierst dich für morbide Themen? Du findest die Vorstellungen deiner normalo Mitmenschen seltsam? Du fühlst Dich zu mystischen Dingen hingezogen und hörst Musik, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen? Zieh schwarze Klamotten an und du bist dabei!" - so ungefähr hätte man die damalige Lage bei uns im Club beschreiben können, als ich dazu kam.
Das war mein damals.
Heute orientiere ich mich nicht nur musikalisch weit mehr an den Wurzeln der Szene. Ich beschäftige mich viel mit den Dingen, welche die damalige Szene so ausmachten, besuche regelmäßig Revivalveranstaltungen und pflege lieb gewonnene Kontakte zu Schwarzen aus jener Zeit, die ich selbst nicht mehr miterlebt habe. Des weiteren studiere ich mit Interesse Zeitzeugenberichte um in etwa eine Idee zu erhalten, was denn damals das Szenegefühl ausgemacht haben könnte und warum es - wie viele meinen - heute nicht mehr, oder nicht mehr in der Form da ist, wie einst. Ein sich stetig wiederholender Punkt, der mir dabei auffällt sind die äußeren Umstände, in denen die jeweilige Generation Schwarz lebte. Die 80er waren teils noch vom kalten Krieg gezeichnet und selbst ich als 83er Jahrgang hier im Westen habe in meiner frühen Kindheit noch beigebracht bekommen, dass wir noch immer in einem Schwebezustand zwischen "alles in Ordnung" und "Es könnte doch noch knallen" leben. Der Osten durfte sich dafür mit einem maroden System herumschlagen. Umwelt war spätestens nach Tschernobyl auch ein großes Thema in den Köpfen der Menschen. Als die Mauer fiel und das versprochene "Gelobte Land" nicht kam, sondern die Arbeitslosigkeit in die Höhe schoss, ging es weiter. Es gab also für Menschen, die aufgrund ihrer Interessen ohnehin nicht viel mit der breiten Masse anfangen konnten noch einmal mehr Gründe sich irgendwie abzugrenzen. Auch wenn das vielleicht nicht DIE Gründe schlechthin waren, sich in den damaligen Szenelandschaften zusammen zu rotten, so wage ich mal zu behaupten, es hat dazu beigetragen das damalige Wir-Gefühl zu stärken, so halt auch in der schwarzen Szene. Internet, wo man sich von zu Hause aus über große Distanzen zusammenschließen konnte um gemeinsame Interessen und Vorstellungen auszutauschen gab es schließlich nicht, also musste man wohl oder übel persönlich Kontakte knüpfen. Um dabei wirklich unter sich zu bleiben half es natürlich ungemein als Szene unaufgeschlossen gegenüber allem Fremden zu bleiben. Eine Toleranz, wie wir sie heute in der Szene erleben, wäre damals nicht denkbar gewesen, ohne die Szenelandschaft gleich wieder zu zerlegen. Damit war es aber auch für Außenstehende viel schwieriger die Menschen hinter dem Schwarz zu ergründen.
Kommen wir damit zum heute:
Die Welt ist quasi zu einem riesigen Supermarkt geworden. Egal was für Bedürfnisse du auch hast, sie können mit wenigen Klicks befriedigt werden. Wenn du keine Bedürfnisse hast, so werden eben ein paar neue in dir geweckt, ohne dass du davon viel mitbekommst. Sorgen, Nöte und Probleme wie man sie beispielsweise noch beim Ost-/Westkonflikt quasi unweit der eigenen Haustür erleben konnte sind in weite ferne gerückt oder haben sich soweit verlagert, dass es eh keinen Unterschied mehr macht wer jetzt darüber redet. Themen wie politische Situationen sind heute nichts mehr, womit sich nur alte Leute und einzelne Grüppchen von Individualisten beschäftigen. Selbst das große Thema Tod und Verfall (ja quasi das Thema der Gruftis schlechthin) ist heute kein Tabuthema mehr. Dank des Internets kann inzwischen quasi jeder seinen Teil dazu beitragen. Ob man damit mehr Erfolg hat ist ein anders Thema. Umweltprobleme wie der Kilmawandel oder Fukushima sind entweder weit weg, oder nicht recht greifbar. Da wird dann höchstens wieder gemeinschaftlich darüber genörgelt, dass es heute besonders heiß ist, oder wie sich Kinder dazu erdreisten können Freitags blau zu machen, um für die Umwelt zu protestieren, während sie von den Eltern mit der dicken Karre zur Demo gefahren werden. Kurzum: eigentlich geht es den Menschen heutzutage schon ziemlich gut und wir haben es hier vor Ort (mal von Themen wie Klimawandel und dumme Politiker) mehrheitlich mit Luxusproblemen zu tun.
Und wie schaut jetzt die Landschaft der schwarzen Szene aus? Dort scheint sich die relativ heile Welt wiederzuspiegeln. Heutzutage kann sich jeder mit Internetanschluss genügend Material zusammen sammeln, um zumindest eine grobe Vorstellung davon zu erhalten, was denn Schwarz sein so bedeuten könnte und verschiedene Modehersteller liefern dir dazu praktischerweise noch das passende Outfit. Selber schneidern? Fehlanzeige. Selbst (so wie ich das mal in einem sehr interessanten Bericht eines Ruhrpottgruftis las) die Grundausstattung bei C&A kaufen und zu Hause dann bearbeiten ist nicht mehr notwendig. Alles gibt es von der Stange. Die größte Sorge des modernen Schwarzkittels scheint nur noch darin zu bestehen, woher er heute seinen neuen Ledermantel bekommt. Clubs mit Besuchen zu unterstützen ist eigentlich auch nicht mehr notwendig. Man kann heute bequem von zu Hause aus youtube anschmeißen und sich bei Kerzenschein und Patschouli mal wieder so richtig obergruftig fühlen. Wenn man dann doch mal Lust hat mit anderen zu plaudern: Yeah, das Fratzenbuch macht es möglich! Und da es uns sonst ja an nichts fehlt und wir eh nichts mehr wichtiges haben, von dem es sich abzugrenzen lohnt, dann könnten wir uns ja mal der Toleranz widmen und dass die Szene ruhig etwas toleranter sein dürfte. Schließlich gibt es ja eh keine wichtigeren Themen mehr als die Frechheit, dass man letzte Woche im Club mit 250kg im hautengen Latex-feenkostüm nicht mit stürmender Begeisterung aufgenommen wurde. Tabuthemen wir Sex, Tod und Gewalt werden schließlich in der bunten Welt reihenweise aufgebrochen und stören kaum mehr wen. Pöse Welt aber auch auch... uff!
Zum Abschluss nun noch mal mein Gedankengang in Kurzform:
Wenn die äußeren Umstände dazu führen, dass sich ein wie auch immer gearteter Protest bzw eine Abgrenzung nicht mehr notwendig anfühlt, so sinkt das Wir-Gefühl und es haben zunehmend neue Strömungen und Auswüchse Gelegenheit ihre Interpretation dieser Bewegung beizumengen.
Fragen, welche ich hier jetzt mal in Runde werfen möchte:
- Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?
- Sehr auch Ihr einen Zusammenhang zwischen Szenegefühl und der allegemeinen gesellschaftlichen Situation?
Das war mein damals.
Heute orientiere ich mich nicht nur musikalisch weit mehr an den Wurzeln der Szene. Ich beschäftige mich viel mit den Dingen, welche die damalige Szene so ausmachten, besuche regelmäßig Revivalveranstaltungen und pflege lieb gewonnene Kontakte zu Schwarzen aus jener Zeit, die ich selbst nicht mehr miterlebt habe. Des weiteren studiere ich mit Interesse Zeitzeugenberichte um in etwa eine Idee zu erhalten, was denn damals das Szenegefühl ausgemacht haben könnte und warum es - wie viele meinen - heute nicht mehr, oder nicht mehr in der Form da ist, wie einst. Ein sich stetig wiederholender Punkt, der mir dabei auffällt sind die äußeren Umstände, in denen die jeweilige Generation Schwarz lebte. Die 80er waren teils noch vom kalten Krieg gezeichnet und selbst ich als 83er Jahrgang hier im Westen habe in meiner frühen Kindheit noch beigebracht bekommen, dass wir noch immer in einem Schwebezustand zwischen "alles in Ordnung" und "Es könnte doch noch knallen" leben. Der Osten durfte sich dafür mit einem maroden System herumschlagen. Umwelt war spätestens nach Tschernobyl auch ein großes Thema in den Köpfen der Menschen. Als die Mauer fiel und das versprochene "Gelobte Land" nicht kam, sondern die Arbeitslosigkeit in die Höhe schoss, ging es weiter. Es gab also für Menschen, die aufgrund ihrer Interessen ohnehin nicht viel mit der breiten Masse anfangen konnten noch einmal mehr Gründe sich irgendwie abzugrenzen. Auch wenn das vielleicht nicht DIE Gründe schlechthin waren, sich in den damaligen Szenelandschaften zusammen zu rotten, so wage ich mal zu behaupten, es hat dazu beigetragen das damalige Wir-Gefühl zu stärken, so halt auch in der schwarzen Szene. Internet, wo man sich von zu Hause aus über große Distanzen zusammenschließen konnte um gemeinsame Interessen und Vorstellungen auszutauschen gab es schließlich nicht, also musste man wohl oder übel persönlich Kontakte knüpfen. Um dabei wirklich unter sich zu bleiben half es natürlich ungemein als Szene unaufgeschlossen gegenüber allem Fremden zu bleiben. Eine Toleranz, wie wir sie heute in der Szene erleben, wäre damals nicht denkbar gewesen, ohne die Szenelandschaft gleich wieder zu zerlegen. Damit war es aber auch für Außenstehende viel schwieriger die Menschen hinter dem Schwarz zu ergründen.
Kommen wir damit zum heute:
Die Welt ist quasi zu einem riesigen Supermarkt geworden. Egal was für Bedürfnisse du auch hast, sie können mit wenigen Klicks befriedigt werden. Wenn du keine Bedürfnisse hast, so werden eben ein paar neue in dir geweckt, ohne dass du davon viel mitbekommst. Sorgen, Nöte und Probleme wie man sie beispielsweise noch beim Ost-/Westkonflikt quasi unweit der eigenen Haustür erleben konnte sind in weite ferne gerückt oder haben sich soweit verlagert, dass es eh keinen Unterschied mehr macht wer jetzt darüber redet. Themen wie politische Situationen sind heute nichts mehr, womit sich nur alte Leute und einzelne Grüppchen von Individualisten beschäftigen. Selbst das große Thema Tod und Verfall (ja quasi das Thema der Gruftis schlechthin) ist heute kein Tabuthema mehr. Dank des Internets kann inzwischen quasi jeder seinen Teil dazu beitragen. Ob man damit mehr Erfolg hat ist ein anders Thema. Umweltprobleme wie der Kilmawandel oder Fukushima sind entweder weit weg, oder nicht recht greifbar. Da wird dann höchstens wieder gemeinschaftlich darüber genörgelt, dass es heute besonders heiß ist, oder wie sich Kinder dazu erdreisten können Freitags blau zu machen, um für die Umwelt zu protestieren, während sie von den Eltern mit der dicken Karre zur Demo gefahren werden. Kurzum: eigentlich geht es den Menschen heutzutage schon ziemlich gut und wir haben es hier vor Ort (mal von Themen wie Klimawandel und dumme Politiker) mehrheitlich mit Luxusproblemen zu tun.
Und wie schaut jetzt die Landschaft der schwarzen Szene aus? Dort scheint sich die relativ heile Welt wiederzuspiegeln. Heutzutage kann sich jeder mit Internetanschluss genügend Material zusammen sammeln, um zumindest eine grobe Vorstellung davon zu erhalten, was denn Schwarz sein so bedeuten könnte und verschiedene Modehersteller liefern dir dazu praktischerweise noch das passende Outfit. Selber schneidern? Fehlanzeige. Selbst (so wie ich das mal in einem sehr interessanten Bericht eines Ruhrpottgruftis las) die Grundausstattung bei C&A kaufen und zu Hause dann bearbeiten ist nicht mehr notwendig. Alles gibt es von der Stange. Die größte Sorge des modernen Schwarzkittels scheint nur noch darin zu bestehen, woher er heute seinen neuen Ledermantel bekommt. Clubs mit Besuchen zu unterstützen ist eigentlich auch nicht mehr notwendig. Man kann heute bequem von zu Hause aus youtube anschmeißen und sich bei Kerzenschein und Patschouli mal wieder so richtig obergruftig fühlen. Wenn man dann doch mal Lust hat mit anderen zu plaudern: Yeah, das Fratzenbuch macht es möglich! Und da es uns sonst ja an nichts fehlt und wir eh nichts mehr wichtiges haben, von dem es sich abzugrenzen lohnt, dann könnten wir uns ja mal der Toleranz widmen und dass die Szene ruhig etwas toleranter sein dürfte. Schließlich gibt es ja eh keine wichtigeren Themen mehr als die Frechheit, dass man letzte Woche im Club mit 250kg im hautengen Latex-feenkostüm nicht mit stürmender Begeisterung aufgenommen wurde. Tabuthemen wir Sex, Tod und Gewalt werden schließlich in der bunten Welt reihenweise aufgebrochen und stören kaum mehr wen. Pöse Welt aber auch auch... uff!
Zum Abschluss nun noch mal mein Gedankengang in Kurzform:
Wenn die äußeren Umstände dazu führen, dass sich ein wie auch immer gearteter Protest bzw eine Abgrenzung nicht mehr notwendig anfühlt, so sinkt das Wir-Gefühl und es haben zunehmend neue Strömungen und Auswüchse Gelegenheit ihre Interpretation dieser Bewegung beizumengen.
Fragen, welche ich hier jetzt mal in Runde werfen möchte:
- Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?
- Sehr auch Ihr einen Zusammenhang zwischen Szenegefühl und der allegemeinen gesellschaftlichen Situation?