Wie wichtig ist der Szene-Ursprung noch?

Alles über Gothic und die Schwarze Szene.
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Graphiel
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Re: Wie wichtig ist der Szene-Ursprung noch?

Beitrag von Graphiel »

blacksister´s ghost hat geschrieben: Donnerstag 20. Mai 2021, 17:34 Ich stelle mir gerade die Frage, ob das Schwarze nich manchmal sogar eine Art Flucht darstellt.
Da bin ich mir sogar ziemlich sicher. Aber darin sehe ich auch erstmal nichts zwingend negatives. Ich konnte seit meiner Teeniezeit mit vielen Dingen des gesellschaftlichen Alltags nicht viel anfangen. Die 90er waren mir damals in meiner Schulzeit beispielsweise zu bunt, zu wild, zu fröhlich und zu... versoffen. An diese Zeit habe ich überwiegend schreckliche Erinnerungen. Heute kann ich mit Gewissheit sagen dass die 90er bei mir ein wichtiger Baustein waren, um eine Art innerer Flucht anzutreten und mich davon abzukapseln. Auch wenn es von da an noch eine ganze Weile gedauert hat, ehe ich im schwarz-Sein mein Ventil entdeckte.
blacksister´s ghost hat geschrieben: Donnerstag 20. Mai 2021, 17:34
Dieses Gefühl von Schutz kenn ich aus meiner Teeniezeit. So gesehen eigentlich Schwachsinn, aber vom Kopf her funktioniert das ganz gut, dass es einem einen gewissen Schutz und Sicherheit gibt.
Wenn ich mal ganz ehrlich zu mir selbst sein soll, dann ist es das für mich ein Stück weit bis heute so. Und auch hier sehe ich das gar nicht mal so negativ, wie das vielleicht klingen mag. Im Grunde möchte ich ja nichts anderes, als in Ruhe gelassen zu werden und mein Leben so zu gestalten wie ich es für gut und richtig halte. Das funktioniert im Groben und Ganzen noch immer recht gut. Selbstverständlich trete ich hier und da (etwa im Beruf, oder in der Familie) ein Stückweit aus meiner kleinen Sphäre und öffne mich somit ein bisschen gegenüber Leuten die mit dem schwarz-sein gar nichts oder nicht viel anfangen können. Doch unterm Strich habe ich auch heute noch das Gefühl mit der Art wie ich mich durch Kleidung, usw. ausdrücke für genügend Abstand zwischen mir und meinen Mitmenschen zu sorgen, um mir meinen kleinen persönlichen "savespace" innerhalb dieser oft zu schnellen und zu lauten Gesellschaft zu bewahren.
"Sowas kann doch nur Leuten einfallen, die in Assoziationsspielchen neben Hund, Katze und Maus auf "Hmm.... Schwingschleifer!" kommen, oder?" - Barlow
blacksister´s ghost

Re: Wie wichtig ist der Szene-Ursprung noch?

Beitrag von blacksister´s ghost »

Ich seh und mein das auch alles andere als negativ, muß aber ehrlich sagen, dass ich mir in die Richtung bis jetzt nie Gedanken gemacht hab und das auch nie als eine Art Flucht, auch mich betreffend, gesehen hab. Vll. weil ich für mich andere Wege, bewusst, wähle um mich irgendwie aus der Situation / dem Moment zu nehmen....um Abstand zu schaffen.
Soiled

Re: Wie wichtig ist der Szene-Ursprung noch?

Beitrag von Soiled »

Der_Kater hat geschrieben: Donnerstag 20. Mai 2021, 11:18 Jemand meinte, ich sähe darin aus wie Angelo Kelly.
Hahaha, geiler Burn. :lol:
Und der Widerstand gegen die Philister, wider der Spießigkeit, das Anderssein, war doch auch immer eine Intention der Schwarzen Szene.
"Widerstand" ist nicht gerade etwas, was ich mit der Schwarzen Szene assoziiere. Die allermeisten (und da schließe ich mich gar nicht aus) sind doch selber eher spießig-bürgerlich, mit Partner:in, Kindern und stabilem Job. Die Leute, die ich kenn bzw. kannte, die wirklich "anders" sind, sind entweder im Knast oder Sozialfälle oder tot.

Ich glaub da ist einfach viel Wunschdenken dabei. Herrjeh, wir ziehen uns halt ein bisschen anders an und hören Musik, die ein bisschen anders ist, das war's dann auch schon.
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Der_Kater
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Re: Wie wichtig ist der Szene-Ursprung noch?

Beitrag von Der_Kater »

Widerstand sicher nicht im politischen Sinn. Eher im Sinne eines Andersseins - sowohl innen als auch außen. Gegen das bürgerliche Einerlei. Religiösen Dünkel usw. Das mag natürlich nicht jede(n) betreffen, denn die Gründe, warum man etwas tut oder so ist, wie man ist, sind doch zuweilen sehr unterschiedlich. Das ist auch gut so. Jede(r) hat eine eigene Geschichte, lohnenswert erzählt zu werden. Eine Story über das wie, warum und wann jemand dazu gekommen ist, schwarze Klamotten zu tragen und relativ schräge Dinge gut zu finden. Es existieren schon einige Wesen, die ihr Anderssein und ihre Individualität relativ konsequent ausleben. Im Aussehen, Stil, in der Einstellung, in der Persönlichkeit. Nicht immer einfache Charaktere, doch das muss ja nicht verkehrt sein. In ihrer Art und Weise wirken sie authentisch. Und man muss auch nicht unbedingt ein Sozialfall sein, im Knast sitzen oder gar tot sein, um authentisch ein Lebensgefühl auszuleben.

Stylen, Kosmetik, Haare usw. gehören ja fast zu einem Ritual. Insbesondere dann, wenn jemand Freude an solchen Dingen hat. Mit dem Aussehen ein wenig spielen, sich verändern. Gesichter können so unglaublich unterschiedlich aussehen. Verblüffend. Besonders schön sehen manche im Kerzenschein aus. Vielleicht eine subtile Form von visueller Kreativität. Ob man eine Maske trägt, sich zu schützen sucht oder einfach sein Alter Ego ausleben möchte, hängt natürlich auch mit der persönlichen Geschichte, Motivation und Perspektive zusammen. Männliche Gruftis haben nicht selten einen relativ stark ausgeprägten femininen Touch, meine ich. Warum Borderliner und Narzisten relativ häufig in der Szene anzutreffen sind (?), ist eine interessante Frage. Jedenfalls wurde mein Eindruck immer wieder bestätigt. Dass die Szene für manche Borderliner zu einer Art Zuflucht war und ist, ist ganz gut nachvollziehbar, sofern man sich ein wenig mit dieser Thematik auskennt. Zwar macht schwarz auch schlank, vermutlich ist das aber kein wirklich guter Grund, ins dunkle Parterre hinabzusteigen. Irgendwann ist die zweite Haut "angewachsen". Wenn man unter der Dusche steht, wird sie auch nicht mehr abgewaschen. Das relativ unnormale wird normal.
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blacksister´s ghost

Re: Wie wichtig ist der Szene-Ursprung noch?

Beitrag von blacksister´s ghost »

Mit dem Aussehen ein wenig spielen, sich verändern. Gesichter können so unglaublich unterschiedlich aussehen.
Da fällt mir grad eine short Story vom letzten Jahr ein. War etwa kurz vor dem ersten Lockdown.
Außerhalb meines engsten Umfeldes, bekommt man mich ja so gut wie gar nich ungeschminkt zu Gesicht. Zumindest hatte ich Samstags mal keinen Bock auf das ganze her gerichtet und bin ungeschminkt in Hoodie auf Arbeit, um was zu holen. Ich stand fast vor meiner Chefin und die hat gebraucht um zu merken, dass ich das bin.
Es ist wirklich krass, was man mit Schminke erreichen kann und der Unterschied zwischen "natürlichem" und "künstlichem" Aussehen, kann wirklich wie Tag und Nacht sein. - Seh ich ja selber an mir.
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Der_Kater
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Re: Wie wichtig ist der Szene-Ursprung noch?

Beitrag von Der_Kater »

"Ich stand fast vor meiner Chefin und die hat gebraucht um zu merken, dass ich das bin."

Unter Umständen kann das auch vorteilhaft sein. :yum:

Hinzugefügt nach 45 Minuten 22 Sekunden:
Noch etwas zum Thema Kennenlernen und Begegnung im und außerhalb des Internets in Bezug auf das subkulturelle Miteinander.

Das Internet ist sicher eine gute Möglichkeit, um Kontakte zu knüpfen und andere Menschen kennenzulernen. Ein Tool, ein Medium, nutzbar durch hosentaschengroße Geräte und so überall und permanent erreichbar. Natürlich ist das Kennenlernen auf dieser Ebene nur eingeschränkt möglich. Ein großer Vorteil des Internets ist seine Reichweite. Ab dann muss man zusehen, wie man sich, inmitten der digitalen Welt aus Einsen und Nullen, zurechtfindet. Nicht selten sind es überwiegend Nullen, mit denen man sich dort herumschlagen darf. Ein wirkliches Treffen und Miteinander kann ein Algorithmus nicht ersetzen. Es sei denn, jemand legt darauf keinen Wert. Aus welchen Gründen auch immer. Mitte der 90er erschien zum ersten Mal das Orkus-Magazin. Hinten im Heft fand man sehr viele Kleinanzeigen, welche bei Interesse in der Regel durch einen Brief beantwortet wurden. Ich war manchmal von der Kreativität der Leute begeistert. Darunter fand man melancholische Poesie, bittersüße Traurigkeit oder ein gedämpftes Bitte-schreib-mir aus dem verschlossenen Sarg. Ebenso liebevoll waren manche der Briefe dann auch gestaltet, wenn es zur Korrespondenz gekommen war. Selber hatte ich auch Freude am Design der Niederschrift, obwohl ich eine ziemliche "Klaue" hatte. Manchmal durfte ich mich an einer ungewöhnlich schönen Kalligraphie, Briefpapier oder an einer besonderen Ausdrucksweise - auch zwischen den Zeilen - einiger Schreiberinnen erfreuen. Außergewöhnliche Wesen waren darunter. Einige dieser Kontakte bestehen bis heute. Es gab Treffen, gegenseitige Besuche oder Telefonate. Und hier schließt sich der Kreis, denn heute spielt sich dies alles mehr oder weniger in sozialen Medien ab. Immerhin gibt es noch das Telen, obwohl es weniger geworden ist. Lange schon habe ich nicht mehr zu Feder und Tinte gegriffen. Ein persönlicher Makel, ein Zugeständnis an die Oberflächlichkeit, finde ich. Andererseits ist es relativ schwierig, Menschen zu finden, die sich auf dieser Ebene austauschen möchten. Selbstverständlich existieren sie noch und warten auf eine Eule. Die Sprache im Netz ist wohl auch eine andere. Einheitlicher, ein wenig kühler und sachlicher, wenn man es so nennen mag. Verallgemeinern will ich das aber auch nicht. Letztendlich liegt es ja an jedem selbst. Und irgendwo sind wir alle Kinder unserer Zeit, was den Umgang mit dem Internet und die Sprache darin angeht. Jedenfalls hat mich die Erfahrung, diverse mediale Möglichkeiten kennengelernt zu haben, bereichert.
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blacksister´s ghost

Re: Wie wichtig ist der Szene-Ursprung noch?

Beitrag von blacksister´s ghost »

Der_Kater hat geschrieben: Freitag 21. Mai 2021, 13:23 "Ich stand fast vor meiner Chefin und die hat gebraucht um zu merken, dass ich das bin."

Unter Umständen kann das auch vorteilhaft sein. :yum:
Wenn man unerkannt bleiben will, durchaus :mrgreen:


Zum Thema "Internetbekanntschaften":
Man könnte Internetbekanntschaften quasi als eine neue Variante von Brieffreundschaften sehen? Interpretiere ich das richtig raus? Sicher, könnte man. Ist halt immer eine Frage des Blickwinkels.
Meine persönliche Meinung, bis Anfang / Mitte 20...von mir aus auch bis Ende 20 durchaus nice gewesen. Ich hatte / hab z.B. eine Bekanntschaft, mit der ich mir lange hin und her getextet hab. Der Austausch war gut. Heut haben wir nur noch sporadisch Kontakt, nachdem wir vll. gut 2 Jahre keinen hatten. Sicher kann sowas bereichernd sein, will ich noch nich mal abstreiten. Aber aus heutiger Sicht muß ich sagen, ist es auf Dauer frustrierend, wenn sich alles irgendwie nur über Internet abspielt. Vll. will ich auch nur zuviel, keine Ahnung. Mein Leben findet aber nun mal außerhalb des Internets statt. Für mich entsteht da eine Diskrepanz. Das Internet will ich höchstens als ein Medium sehen, was ich wie mein Telefon nutze. Mal kurz eine Nachricht schreiben, irgendwas absprechen. Es soll aber nicht mein Leben da Draußen ersetzen.
Bzw. sollte sowas höchstens von Zeiten Coronas der Fall sein.
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Der_Kater
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Re: Wie wichtig ist der Szene-Ursprung noch?

Beitrag von Der_Kater »

Vergleichen lässt sich das wohl nicht ganz. Die Handschrift im Brief macht das Ganze etwas persönlicher. Aber einerlei - nichts davon ersetzt das persönliche Treffen. Es dient eher dem Kennenlernen. Social Media und soziales Leben haben wohl relativ wenig gemein. Wie sollte man jemanden richtig kennenlernen, mit Stärken und Schwächen, wenn man sich nicht persönlich trifft?! Mein Ding sind "Freunde" im Internet auch nicht wirklich. Es verliert sich auch irgendwann, wenn man nicht den nächsten Schritt wagt.
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Evanahhan
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Re: Wie wichtig ist der Szene-Ursprung noch?

Beitrag von Evanahhan »

Brieffreundschaften hab ich auch nie lange durchgehalten. Irgendwann bin ich immer an den Punkt gekommen, wo ich nicht so recht wusste, was ich schreiben soll. Wenn man sich nicht wenigstens mal gelegentlich real begegnet, fehlt irgendwie eine Basis. Gerade in einem Brief schreibt man ja nun auch keinen Zweizeiler im Sinne von „hey wie gehts?“. Da ist chatten / SMS wenigstens unkomplizierter. Zumindest kann man lose in Kontakt bleiben, auch wenn man nichts Weltbewegendes zu berichten hat. Bin nun auch generell niemand, der ellenlange Texte verfasst.Da sind mir „reale“ Kontakte doch deutlich lieber. Aber tatsächlich haben sich online schon einige reale Kontakte ergeben, die dann auch wieder zu weiteren Kontakten geführt haben (Bekannte von Bekannten kennengelernt), woraus sich dann wiederum Freundschaften ergeben haben. Selbst wenn es nur lose Bekanntschaften bleiben, finde ich diese bereichernd.
„Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“
Victor Klemperer, LTI
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Der_Kater
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Re: Wie wichtig ist der Szene-Ursprung noch?

Beitrag von Der_Kater »

So hat alles seine Zeit und Berechtigung. Zum Brief muss man sagen, es war meist die einzige Möglichkeit, sich auf dieser Ebene kennenzulernen. Computer gaben das vor 20/30 Jahren noch nicht her. Heute hat sich das natürlich fast alles ins Digitale verschoben. Schreiben liegt ja auch nicht jedem. Deshalb sind Messenger für so viele ein wahrer Segen. Durchaus praktisch.
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