Graphiel hat geschrieben: ↑Dienstag 15. September 2020, 10:01
Ein Eindruck der sicherlich dadurch verstärkt wird, dass die deutschen Steampunks nicht selten ganz ähnliche Musikgeschmäcker haben wie andere heutige Schwarzkittel und auch optisch (sein wir mal ganz ehrlich) jetzt nicht sooooo weit weg von viktorianischen Gothics sind.
Wobei ich glaub, dass das eher konvergente Entwicklungen sind. (Sorry, ich zieh meine Vergleiche halt gern aus der Biologie - Berufskrankheit.

)
Vögel, Fledermäuse und Flugsaurier haben alle Flügel, sind aber nicht näher verwandt.
Wale, Fische und Ichthyosaurier haben alle Flossen, sind aber nicht näher verwandt.
Okay, sind alles Wirbeltiere, aber da hört's schon auf.
Wenn man ganz, ganz weit zurück geht, also, auf die literarische Ebene, werden die Unterschiede deutlicher, finde ich. Nehmen wir als Beispiele mal Jules Verne, eine massive Inspiration für Steampunk, und Mary Shelley. Beide haben im Prinzip Science fiction geschrieben, mehr oder weniger. Aber wenn man "Frankenstein" und "Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer" vergleicht sind da doch schon auffällige Unterschiede. Jules Verne war deutlich mehr Richtung Technik und Abenteuerroman unterwegs, bei Mary Shelley ging es mehr um die Grenzen zwischen Leben und Tod, Mensch und Monster usw. (Meinetwegen kann man in die ganze Suppe noch Bram Stoker und H.G. Wells reinwerfen, ist eh schon alles wurscht.)
Und dann machen wir mal einen Hüpfer in die 1980/90er. Cyberpunk existiert, wenn auch hauptsächlich als literarisches Genre. Steampunk ist ja ein Abkömmling davon, nur halt (pseudo-)viktorianisch gefärbt. Und Gothic als solches existierte auch, im Gegensatz zu Cyberpunk aber viel musikbetonter. Teilweise gab's ja auch Überschneidungen, man trennt Menschen ja nicht mal so einfach.
Warum sich beide Gruppen dann aber auf viktorianisches Gedöns gestürzt haben weiß ich immer noch nicht so genau, Tatsache ist aber, dass es passiert ist. Und logischerweise haben sie sich die Sachen rausgepickt, die ihnen am besten taugten: Schwarzvolk halt den Trauerkult, das architektonische Gothic-Revival usw., Steampunk mehr die Technik und die Abenteuerromantik. Rein visuell ist das Ergebnis auf jeden Fall ähnlich, keine Frage. Sind ja alles immer Kinder ihrer eigenen Zeit. Ich mein, sowohl bei Schwarzvolk als auch bei Steampunk-Leuten wird gerne mal das Korsett über den Klamotten getragen, was ... nun ja ... historisch gesehen eher unkorrekt ist.
Ein Blick nach Amerika, wo Steampunk jedoch eine durchaus beachtliche Größe hat zeigt dann aber schon, dass hier zwei unterschiedliche Szenen am Werk sind.
Jepp. Kann ich so unterschreiben.
Ich find man sieht es ganz gut an Shops. Es gibt hier einen, der die Steampunk- und LARP-Szene bedient. Klar, als düster orientierter Mensch findet man da auch so das ein oder andere, was einem taugt. Und es gibt einen, der sich dezidiert "Gothic" nennt. Klar, als Steampunk-Freund und LARPer findet man da auch Sachen, die einem gefallen. Trotzdem sind es sehr unterschiedliche Läden mit sehr unterschiedlichen Zielgruppen und generell sehr unterschiedlichen ... wie soll ich sagen ... Vibes.
Ich will ja nicht lästern, aber
Eine der Gründe, weswegen ich die Schwarze Szene so mag, ist ja gerade, dass man nach Herzenslust lästern kann.
Grauer Wolf hat geschrieben: ↑Dienstag 15. September 2020, 16:14
Gemäß der amerikanischen Verwendung des Begriffes ist das Video von Grimes eindeutig »Gothic«.
Hey, glaubst du etwa, dass wir freiwillig diesen unkultivierten Amerikanern die Deutungshoheit darüber überlassen, was "gothic" ist und was nicht?

(Falls das Emoji nicht reicht: Das war ein Scherz.)
Inzwischen bin ich so weit, dass ich z.B. bei "Industrial" immer frag, ob die europäische oder die amerikanische Variante gemeint ist. Sobald das geklärt ist kann man sich ja eh 1a unterhalten und reibt sich nicht mit Hickhack auf.