Hikikomori

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Heimfinderin

Hikikomori

Beitrag von Heimfinderin »

Vor Tagen bin ich über einen Artikel gestolpert, in dem ein junger Mann aus Japan über sein Dasein als "Hikikomori" berichtete. Nach dem Betätigen der Suchmaschine hatte ich mich kurzweilig in das Thema eingelesen und wollte dazu mehr erfahren.
Abseits von Corona handelt es sich dabei wohl um Menschen, die sich freiwillig aus der Gesellschaft zurückziehen, kaum ihre vier Wände verlassen und nur die nötigsten Kontakte pflegen. In wie weit das jetzt "freiwillig" geschieht, vermag ich nicht zu beurteilen, da in dem erwähnten Interview auch von einer Versagensangst oder Überforderung gesprochen wurde. Vermutlich muss man das Phänomen aber auch im Kontext mit japanischen Werten sehen. Es scheinen gar nicht mal so wenige zu sein, die diese Selbstisolation wählen, phasenweise oder länger. Auch nicht nur junge Leute und meist männliche Personen. Ich habe jetzt wiederholt von einem "freiwilligen Zurückzug" gelesen, erinnert aber stark an eine Depression, und Lebensumstände sowie Kultur scheinen dies zu beeinflussen. Es scheint ja auch ein Problem für die Betroffenen zu sein, wieder in einen anderen Alltag zurück zu finden. Ich weiß nicht, wie dies in Japan akzeptiert wird. Ich bin beim Lesen immer wieder erstaunt gewesen, wieviel Druck Menschen durch außen erfahren, bzw. sich machen lassen und was Ächtung oder Beifall einer Gesellschaft bewirkt. Manches, das ich gelesen habe, erscheint mir dann doch in der Persönlichkeit viel zu sehr abhängig vom Urteil anderer (wo wir vielleicht sagen würden, dass es uns am Allerwertesten vorbei geht, was andere denken und meinen). Dass Menschen solch große Scham empfinden, oft über Dinge, die zumindest ich für all zu menschlich halte, ist traurig.
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Grauer Wolf
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Re: Hikikomori

Beitrag von Grauer Wolf »

In der Tat.

Bei den Hikikomori spielen allerdings zwei Dinge zusammen: Einerseits die Versagensängste der Betroffenen. Andererseits die Scham der Familie, einen Versager unter den ihren zu haben. Der Anpassungs- und Erfolgsdruck in der japanischen Gesellschaft insbesondere für Männer ist immens. Nicht alles gelingt es, mit diesem Druck zurecht zu kommen oder ihm geeignet auszuweichen. Der Rückzug aus der Gesellschaft als Hikikomori ist eine Methode, diesem Druck zu entfliehen. Die eigene Familie schämt sich üblicherweise für einen Hikikomori in ihren Reihen, da dies auch als Versagen der Familie betrachtet wird. Der Hikikomori wird somit vor der Öffentlichkeit im eigenen Haus (oder im Haus von Verwandten) versteckt und so versorgt, daß er niemandem außerhalb auffällt oder gar zur Last fällt. Nur aufgrund dieser Doppelkonstellation ist es möglich, daß Hikikomoris auch ohne eigenes Einkommen über Jahrzehnte in ihrem Zimmer überleben.

Frauen haben in Japan mehr Freiheiten -- einfach weil weibliches Versagen in Japan innerhalb gewissen Grenzen noch als »kawaii« (herzig-bemitleidenswert) betrachtet wird. Wenn es einer Frau zu viel wird, muß sie sich also nur tollpatschig genug anstellen. Eine Frau muß in Japan allerdings bis 26 entweder verheiratet sein oder eine steile berufliche Karriere begonnen haben, die als Grund für die Nichtheirat herangezogen werden kann. Unverheiratete Frauen älter als 30 ohne beruflichen Erfolg werden in Japan dann auch als Versagerinnen betrachtet.
Man soll Leuten nicht Boshaftigkeit unterstellen,
wenn man ihr Verhalten genau so gut durch Dummheit erklären kann.
(Hanlon's Razor)

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CaptainMorgan
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Re: Hikikomori

Beitrag von CaptainMorgan »

Heimfinderin hat geschrieben: Montag 4. Mai 2020, 13:13Dass Menschen solch große Scham empfinden, oft über Dinge, die zumindest ich für all zu menschlich halte, ist traurig.
Wie wahr, da kann ich vor allem durch meinen Beruf ein Lied davon singen. Manchmal hat man das Gefühl dass man sich zumindest gesellschaftlich nicht im 21. Jahrhundert befindet.

Hinzugefügt nach 1 Minute 6 Sekunden:
Grauer Wolf hat geschrieben: Montag 4. Mai 2020, 13:30Frauen haben in Japan mehr Freiheiten -- einfach weil weibliches Versagen in Japan innerhalb gewissen Grenzen noch als »kawaii« (herzig-bemitleidenswert) betrachtet wird. Wenn es einer Frau zu viel wird, muß sie sich also nur tollpatschig genug anstellen. Eine Frau muß in Japan allerdings bis 26 entweder verheiratet sein oder eine steile berufliche Karriere begonnen haben, die als Grund für die Nichtheirat herangezogen werden kann. Unverheiratete Frauen älter als 30 ohne beruflichen Erfolg werden in Japan dann auch als Versagerinnen betrachtet.
Alter, das ist ja mal ziemlicher chauvinistischer Scheißdreck.
blacksister´s ghost

Re: Hikikomori

Beitrag von blacksister´s ghost »

Ich hab mich jetzt in das Thema noch nich weiter eingelesen, von daher kann ich noch nich ganz beurteilen, wieviel Anteil die Versagensängste haben. Mir kam aber, als ich las, dass sich die Leute freiwillig zurückziehen, der Gedanke, wieviel Leute das in unserer Gesellschaft...sogar innerhalb der Szene, auch tun. Meiner Meinung nach tritt hier das Phänomen auch auf. Vll. nich in dieser Intensität oder aus Versagensgründen heraus.
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BlackDog
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Re: Hikikomori

Beitrag von BlackDog »

Seh ich genauso. Der Gesellschaftliche Druck in Japan ist extrem Hoch. Und auch andernorts gibts Menschen die sich zurückziehen. Überforderung, Scham irgendwo hat jede Gesellschaft diese Menschen. Nur nimmt man sie eher selten wahr.
Schattendrache_1983
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Re: Hikikomori

Beitrag von Schattendrache_1983 »

Ich entschuldige mich mal vorab für meinen Einwand, aber ich finde es wirklich nicht angemessen, so über japanische Kultur, Werte und Gesellschaft (zufällig auch meine Kulktur, Werte, usw.) zu richten.
Jedes Land, jede Gesellschaft hat eigene Werte, Traditionen, Mechanismen, ... und ehrlich gesagt finde ich so einige Dinge, die hier in Deutschland vor sich gehen oder in anderen Ländern dieser Welt auch nicht gut, aber ich urteile nicht darüber oder ziehe darüber her, denn es gibt stets eine Entstehungsgeschichte zu den Dingen, die begründet, warum, es so oder eben anders ist.
Soiled

Re: Hikikomori

Beitrag von Soiled »

Schattendrache_1983 hat geschrieben: Freitag 17. Juli 2020, 05:46 Ich entschuldige mich mal vorab für meinen Einwand, aber ich finde es wirklich nicht angemessen, so über japanische Kultur, Werte und Gesellschaft (zufällig auch meine Kulktur, Werte, usw.) zu richten.
Ah. Interessante Wahrnehmung. Könntest Du präzisieren, was genau Du in diesem konkreten Fall mit "richten" meinst? Ich sehe nämlich nicht, dass irgendjemand was "gerichtet" hat, außer die Sache mit dem "chauvinistischen Scheißdreck", der ich allerdings zu 100% zustimme. Gibt ja, man glaubt es kaum, auch Feminist*innen in Japan, und die kritisieren unter anderem genau solche Phänomene wie die von Wolf geschilderten. Würdest Du mir also verbieten wollen, meine Sympathie und Solidarität mit ihnen auszudrücken? Ich mein, Japan liegt auf dem Gender Equality Index für ein industriell hochentwickeltes Land extrem weit hinten, und, ja, natürlich ist das eine "kulturelle" Sache, keine Frage. Und es ist eine Schande.

Übrigens: Die Selbstmordrate von Kindern und Jugendlichen ist in Japan extrem hoch, und, ja, das ist kulturell bedingt. Soll man das so akzeptieren?
Die kaum vorhandenen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen (Nanjing anyone?) ist auch kulturell. Der Umgang mit den Ainu war und ist unter aller Sau (und kulturell). Die Burakumin-Sache ist schauderhaft (und kulturell). Klar gibt es für all das Gründe, das bestreitet ja auch niemand. Aber bist Du wirklich so ein Ultra-Nationalist, dass Du Dich mit Deiner eigenen Kultur und Geschichte nicht kritisch auseinandersetzen willst? (Also, ich nehme jetzt mal einfach an, dass Du japanischer Herkunft bist und nicht nur so ein deppata Weeaboo, der Nitobe Inazō gelesen hat und nicht gecheckt hat, dass das reine Propaganda war, um sich an den Westen anzubiedern. Und hinterher im WK2 ließ sich der Mist natürlich auch fabelhaft instrumentalisieren, um arme junge Männer in den Tod zu schicken. Aber ich schweife ab.)
aber ich urteile nicht darüber oder ziehe darüber her, denn es gibt stets eine Entstehungsgeschichte zu den Dingen, die begründet, warum, es so oder eben anders ist.
Wirklich? Also urteilst Du auch nicht über die Waffen-Kultur in den USA, die glühende Homophobie in Teilen von Osteuropa, den Mist mit den Uiguren in China usw. usf.?
Find ich weniger gut. Wenn man nicht klar Position bezieht macht man sich meines Erachtens mitschuldig.

Ich leb ja nun schon ein paar Jährchen im Ausland, und ich fände es absurd, wenn Leute hier keine Meinung zu D hätten. Und wenn die Leute hier sagen "Oh, Du kommst aus Thüringen? Das ist doch das mit den Nazis?" ist das zwar ein wenig undifferenziert, aber weiß Gott nicht falsch. Und, ja, natürlich gibt's eine Entstehungsgeschichte dazu. Sind trotzdem Nazis und ist trotzdem scheiße.
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Phönix75
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Re: Hikikomori

Beitrag von Phönix75 »

Soiled hat geschrieben: Freitag 17. Juli 2020, 19:03
Wenn man nicht klar Position bezieht macht man sich meines Erachtens mitschuldig.

Das ist gröbster Schwachsinn, aber dir wird dass sicher nicht aufgefallen sein. :roll: Wenn ich dein Beispiel heranziehen darf: Mir ist es z.B. scheißegal, ob die Amis sich bis an die Zähne bewaffnen und sich gegenseitig das Licht ausknipsen. Und? Mach ich mich jetzt mitschuldig, nur weil es mir egal ist? Du gibst manchmal echt ideologisch geprägten Sondermüll von dir, dass man ausm Staunen garnicht rauskommt.

Soiled hat geschrieben: Freitag 17. Juli 2020, 19:03
"Oh, Du kommst aus Thüringen? Das ist doch das mit den Nazis?"

Das scheint sich auch schwer verleugnen zu lassen, so wie du manchmal hier auftrittst.

Ach nee! Ach so?! Quatsch! Du warst doch eine von den Guten... :? :lol:
Nichts ist so, wie es scheint.
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Deaddigger
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Re: Hikikomori

Beitrag von Deaddigger »

Phönix75 hat geschrieben: Freitag 17. Juli 2020, 20:30 Wenn ich dein Beispiel heranziehen darf: Mir ist es z.B. scheißegal, ob die Amis sich bis an die Zähne bewaffnen und sich gegenseitig das Licht ausknipsen. Und? Mach ich mich jetzt mitschuldig, nur weil es mir egal ist? Du gibst manchmal echt ideologisch geprägten Sondermüll von dir, dass man ausm Staunen garnicht rauskommt.
Also wenn einem der Tod anderer Menschen "scheißegal" ist, dann ist man schon fast maximal assozial und damit machst du dich moralisch natürlich schuldig, weil dein Sozialverhalten offensichtlich auf dem absoluten minimum/maximal egoistisch ist.
"Dem Pfad der Klarheit vom Geist zum Herzen zu ebnen, ist schwieriger als jeder Kampf mit Waffen."
Bloody Arthur

Re: Hikikomori

Beitrag von Bloody Arthur »

Deaddigger hat geschrieben: Samstag 18. Juli 2020, 14:55 Also wenn einem der Tod anderer Menschen "scheißegal" ist, dann ist man schon fast maximal assozial und damit machst du dich moralisch natürlich schuldig, weil dein Sozialverhalten offensichtlich auf dem absoluten minimum/maximal egoistisch ist.
Und was ist der Gegenvorschlag? Alle anderen Länder kolonialisieren und missionieren, damit dort auch endlich die "richtigen" Moralvorstellungen herrschen?

*etwas provokant gefragt*

Edit: wobei, da eh alles so Global ist.... wärs auch heuchlerisch sich nicht moralisch darum zu kümmern, wie die Zustände sind, in dem Land aus dem man z.B. seine Kleidung hat.

Alles total verfahren.... Moral, existiert einfach nicht, global gesehen.