
Ich hoffe, dass das nicht wieder ein einfacher "Leute sind ja soooooo scheiße!"-Thread wird, mir geht es eher um soziale und ökonomische Hintergründe. Das ist nämlich ein durchaus komplexes und spannendes Thema.
Vorneweg: Ich hab ein größeres Problem damit, die "Schuld" rein auf die Konsumenten abzuwälzen. Ja klar, die Nachfrage bestimmt das Angebot, aber Produzenten schaffen sehr wohl Anreize, um die Nachfrage künstlich zu erhöhen. Da braucht es Nerven aus Stahl und sehr viel Selbstreflektion, um sich dem zu entziehen.
Und da wären wir schon beim Thema "Selbstverantwortung". Ethischer Konsum verlangt nach informierten Konsumenten, keine Frage. Produzenten manipulieren einen nach Strich und Faden (Stichwort Werbung/Marketing) um einen dazu zu bringen, ihr Zeug zu kaufen - es erfordert schon ein paar Kenntnisse, um diese Manipulation zu erkennen und sich ihr zu widersetzen. In der Schule wird das einem nicht beigebracht. Wo und wie lernt man das also? Bildungsbenachteiligung ist leider nun mal ein Fakt, den kann man nicht wegdiskutieren. Wenn Leute so benachteiligt sind müssen sie viel, viel mehr Zeit und Energie als privilegierte Menschen investieren, um Zusammenhänge zu verstehen. Darf man das von ihnen einfordern? Und besteht tatsächlich eine moralische Pflicht dazu, sich zu informieren und mündig zu werden? Ich mein, klar, ich bin ja sehr für Wahlfreiheit, und um "richtig" wählen zu können erfordert es Wissen.
Sollte man also ganz einfach ein Schulfach einführen, "Bewusster Konsum" oder so? Oder wäre das schon Gängelung und Einschränkung der Wahlfreiheit von Leuten, wenn ihnen gesagt wird "kauft x, nicht y, oder verzichtet am besten ganz, sonst seid ihr schlechte Menschen"?
Andererseits: Ein gutes Umweltbewusstsein, was recht solide mit einem hohen Einkommen und überdurchschnittlicher Bildung korreliert, führt nicht unbedingt automatisch zu einer besseren Ökobilanz. Hübsche Statistik vom Umweltbundesamt dazu. Sehr interessant: Männer haben im Schnitt eine schlechtere Umweltbilanz als Frauen. Eh klar - Tendenz zu größeren Autos, mehr Technik-Spielzeug und höherer Fleischkonsum, wenig überraschend. Würde mich auch nicht wundern wenn sie auch mehr fliegen, rein aus beruflichen Gründen. Macht sie das zu schlechteren Menschen? Soll man in einem generösen Rundumschlag auf sie schimpfen? Ich mein, kann man gern machen, man hätte schließlich allen Grund dazu. Aber ist es zielführend?
Warum deutlich mehr Frauen als Männer Vegetarier/Veganer sind ist in der Hinsicht ja eh ein schönes und bekanntes Beispiel. Ich hab irgendwo im Hinterkopf, dass das Verhältnis so ca. 4:1 ist, Quelle suche ich bei Bedarf raus. Sind Männer einfach nur "dümmer" als Frauen und verstehen nicht, was sie mit ihrem Fleischkonsum anrichten? Wohl eher nicht. Brauchen sie rein körperlich mehr Eisen? Auch nicht - wenn überhaupt brauchen (menstruierende) Frauen davon mehr. Sind Frauen generell mehr gewohnt, ihr Essverhalten restriktiv zu gestalten (Diäten und so) und wird Männern vermittelt, dass Fleischkonsum "männlich" sei? Ich glaub da kommen wir der Sache schon näher.

Ich red hier natürlich nicht von Einzelfällen sondern von statistischen Werten. Natürlich gibt es männliche Vegetarier/Veganer. Aber es ist viel leichter für Frauen als für Männer, so eine Ernährungsumstellung durchzuführen und umzusetzen. Männern vorzuwerfen, dass sie es nicht/weniger tun, fänd ich ein bisschen gemein, um ehrlich zu sein. Die sind auch nur Opfer ihres Umfeldes und sozialer Erwartungen. Ganz subtile, nahezu unsichtbare, aber sehr, sehr wirksame Einflüsse.
Und selbst informierte, mündige Konsumenten entscheiden sich oft genug "unökologisch". Beim WGT waren es letztens so um die 20.000 Besucher. Beim M'era 25.000. Ziemliche Hausnummern also. Ich gehe mal ganz optimistisch davon aus, dass einem Großteil des Publikums durchaus bewusst ist, dass ihr Verhalten nicht unbedingt zukunftsfreundlich ist. Durch die Anreisen von Publikum und (internationalen) Bands wird einiges an CO2 produziert (werden schon nicht alle mit dem Zug hinfahren oder Trampen), die Auftritte erfordern Material, das angekarrt wird, der zusätzliche Stromverbrauch ist sicher auch nicht von schlechten Eltern, komplett auf Plastik-Becher wird vermutlich auch nicht verzichtet ... sollte man Festivals also abschaffen? Weil ... umweltfreundlicher wäre es, wenn man nicht hinfährt bzw. wenn sie gar nicht stattfinden.
Ich hab's natürlich gut, ich fahre mit der Straßenbahn zum Konzert und trinke dort lokales Bio-Bier aus Pfandflaschen.

Dass Schwarz ja die schmutzigste, umweltschädlichste Farbe ist, die man sich nur vorstellen kann, ist, denke ich, eh jedem bewusst. Trotzdem entscheidet sich jeder, aber wirklich ausnahmslos jeder von uns hier dafür, sie zu kaufen, anstatt etwas in beige zu wählen. Warum? Weil es sich besser anfühlt, das ist alles. Eine reine Bauchentscheidung, wo das Hirn mal Sendepause hat.
Ist das bei anderen Konsumenten so viel anders? Darf ich ihnen einen Vorwurf machen? Balken, Auge, wissen schon.
Gibt's hier vielleicht jemanden, der sich mit VWL auskennt? Ganz ernsthaft gefragt, ich hab davon nämlich keine Ahnung, ist viel zu lange her, dass ich mich damit beschäftigt habe. Also, insbesondere wie man Märkte formen kann? Ja eh, schon klar, über Zölle und Abgaben und vergleichbare Instrumente. Über Verbote, wenn man ganz drastisch sein will. Aber wie sehr entspricht eine derartige massive Regulation dem Prinzip von Wahlfreiheit? Und was für Methoden gibt es noch? Wieviel Sinn ergibt es tatsächlich, Konsumenten gezielt zu "erziehen" und so die Nachfrage zu verändern? Kann das auch negative Effekte haben? Ist es überhaupt eine staatliche Aufgabe, da einzugreifen, oder geht das dann schon zu sehr in Richtung Planwirtschaft?
Edit: Ok, bin schon selber über die wichtigsten Stichworte gestolpert: (De)meritorische Güter, Konsumentensouveränität, Konsumfreiheit etc.
Na, schauen wir mal. Vielleicht werden irgendwann ja wieder Lebensmittelkarten für Fleisch eingeführt, um den Konsum zu deckeln.
Und, nein, ich habe keine simple Antwort auf die ganzen Fragen, die ich mir stelle. Dafür fehlt mir zu viel Hintergrundwissen in Ökologie, Ökonomie, Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft usw. - Philosophie spielt sicher auch noch mit rein. Dafür, dass ich eigentlich nix weiß, denke ich definitiv zu viel nach.

Das einzige was ich sagen kann: Es ist schwierig. Die Welt ist schwierig. Menschen sind schwierig. Einfach einer als solchen nicht existenten Masse den Schwarzen (höhö) Peter hinzuschieben finde ich allerdings unfair und arg zu kurz gedacht.