Was bedeutet "Authentizität" für Euch?

[Graphiel]

Authentisch setz ich mit "echt sein" gleich. Sprich, nicht vorgeben etwas oder jemand zu sein, was man gar nich ist. Ich finde wichtig, dass man sich selber treu bleibt.

Bis hierher stimme ich dir da zu. Für mich ist es ebenfalls wichtig, dass man sich nicht absichtlich verstellt um authentisch zu sein. Allerdings finde ich auch, dass zur Authentizität der Faktor Zeit eine sehr wichtige Rolle spielt. Ich finde es ist immer sehr schwierig die Authentizität eines Menschen anhand von Momentaufnahmen zu beurteilen. Damit ich jemandes Authentizität beurteilen kann reicht es für mich nicht aus, den jenigen einmal gesehen zu haben. Erst recht nicht auf unbewegten Bildern, außer die Person auf dem Foto schaut so dermaßen unbegeistert aus, dass es einem quasi entgegen springt. Und selbst da würde ich mir noch die Option offen halten, dass die Person gerade an einem gesundheitlichen Problem leidet. Was ich damit sagen will: Es bedarf tatsächlich mehrerer Faktoren, damit ich jemanden als Authentisch erachte.

Um mal das Beispiel vom Typen mit den Siouxsie Shirt aufzugreifen: Woran hast du da festgemacht, dass der Mann die Musik von früher toll findet und ihn nicht einfach nur das Motiv des T-Shirts ansprach? Wahrscheinlich an der Kombination aus Shirt und dem Besteigen eines Leichenwagens. Wärst du zu dem selben Eindruck gelangt, wenn der Mann stattdessen irgend einen Kleinwagen bestiegen hätte? Also ich zumindest nicht. Bei dem ganzen Quark den alle möglichen Leute an Bildern, Sprüchen oder Slogans auf ihrer Kleidung herumtragen, frage ich mich manchmal gar ob der Otto normal Mensch überhaupt darauf achtet, was so auf seine Kleidung gedruckt wurde.

[Herbstlaubrascheln]

Ich kann gar nicht sagen, woran ich "echt Sein" tatsächlich festmachen würde; das ist auch ziemlich schwierig, in Worte zu fassen. Gerade, wenn es um Schwarz Sein und Szene geht, fällt es ja doch sehr schwer, durch irgendwelche Äußerlichkeiten, oder wie Graphiel es nannte, "Momentaufnahmen" da irgendwelche Schlüsse zu ziehen.

[Heimfinderin]

(Bei dem erwähnten T-Shirt fällt mir gerade ein, dass es doch zB das Cover von Joy Division bei einem bekannten schwedischenTextilhandelsunternehmen gibt und inzwischen von jedermann getragen wird )


Das meiste hier Geschriebene trifft es doch ganz gut. Gruppenzwang, Opportunismus und manipulatives Verhalten sind es jedenfalls nicht
Ehrlichkeit, auch gegenüber sich selbst, sich selbst nicht verraten können, die eigenen Werte, und danach handeln, auch wenn´s mal weh tut und die Konsequenzen nicht immer bequem sind.
Ein halbwegs gesundes Bewusstsein dafür, wer man ist, was die eigenen Stärken und Schwächen anbelangt, und das annehmen und zeigen zu können ohne darüber in Zweifeln zu zergehen oder anderen mit seiner göttlichen Allgegenwart auf den Senkel gehen zu müssen. Mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung ist das bei vielen so eine Sache... Selbstreflexion scheint nicht jedem zu liegen. Aber andere merken meist sofort, wenn man sich unter- oder überschätzt, oder versucht, ein Bild von sich aufrecht zu halten, dem man vielleicht gar nicht gerecht wird.
Menschen, bei denen das Innere und Äußere (nein, damit ist nicht die Garderobe oder der Haarschnitt gemeint) in Verbindung stehen, nicht entkoppelt sind, sich im Einklang befindet. Authentische Menschen handeln für mich nach dem, was sie wirklich fühlen und denken, vertreten können, ihrem Gewissen ohne Schlupflöcher, Herz und Verstand, ohne dabei ständig davon geleitet zu sein, etwas für sich heraus holen, andere manipulieren oder jede Unannehmlichkeit umgehen zu wollen. Das ist für mich nicht unbedingt der Überflieger oder der, der am hellsten glänzt. Eher jemand, der weitgehend im Reinen und Friede mit sich ist. Jemand, der nicht unbedingt um etwas ringen muss, weil es für Menschen, die sich als Teil der Welt begreifen, nichts zu erobern gibt.

Mit "schwarze Szene" bringe ich das erst mal gar nicht in Verbindung, bei dem "Trueness"-Thema krieg ich Ausschlag. DAs ist für mich eher eine Wesensart von Menschen - und von denen gibt es unter den Schwarzkitteln viele unterschiedliche Zeitgenossen.

Naja und dann gibt es diese abgegriffene, öde Variante von Authenzität und Individualismus, die Marketing-Zwecken dient
Authenzität ist inzwischen so überstrapaziert wie Toleranz und Individualität, und was man sich da selbst verkauft.

[blacksister´s ghost]

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[Soiled]

Weil's grad zum Thema passt:

Es ist ja in der Diskussion, dass bilinguale Menschen ihre Persönlichkeit wechseln, wenn sie die Sprache wechseln. Links suche ich bei Bedarf raus.
Ich finde da ist durchaus etwas dran. Bei mir selber reicht leider nur Englisch an ein Level heran, was fast muttersprachlich ist, deswegen merke ich es auch nur bei dieser einen Sprache. Wenn ich englisch rede bin ich viel freundlicher, viel neugieriger, viel aufgeschlossener. Auf deutsch bin ich ein größerer Grantscherben, aber auch humorvoller. Es hilft auch beim Probleme wälzen: Einfach im Kopf die Sprache umschalten, schon ändert sich die Sichtweise, und einem fallen Lösungen ein, an die man vorher gar nicht gedacht hat.

Welches davon jetzt mein "wahres" Ich ist? Keine Ahnung. Wenn ich in eine Gegend ziehen würde, wo ich viel mehr Englisch rede, würde ich vielleicht generell ein freundlicherer Mensch werden, wer weiß das schon.

Jemand, der nicht unbedingt um etwas ringen muss, weil es für Menschen, die sich als Teil der Welt begreifen, nichts zu erobern gibt.

Irgendwie hört sich dieser Satz für mich unglaublich deprimierend an. So als ob man die Hoffnung aufgegeben hätte und sich mit dem Status quo abfindet. Kann aber natürlich auch sein, dass ich da nur was reininterpretiere.

[Heimfinderin]

Vielleicht anders interpretierst. Ich hoffe immer, dass nicht alle sofort schwarz-weiß in Extremen denken, wenn man was schreibt. Das ist deprimierend
Mit dem Zustand zufrieden sein ist nicht gleichbedeutend Aufgabe oder Hoffnungslosigkeit und "abfinden" will da auch nicht recht passen. Der Status Quo kann auch durchaus wunderbar sein. Möglicherweise weniger maßlos oder unersättlich. Oder sogar weniger kriegstreibend und machthungrig.
Wissensdrang mit entsprechendem Anspruch, wie bei dir offensichtlich zu genüge vorhanden, meine ich jedenfalls nicht.

[Phönix75]

@Heimfinderin

Genauso sehe ich das auch. Wenn man sich mehr mit dem zufrieden gibt, was man hat... erreicht hat, dann sehe ich da weniger Konfrontationspotential. (Selbst)zufriedenheit und Demut können ziemlich deeskalierend wirken. Aber da es in einer Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft nicht darum geht, einfach mal die Füße still zu halten und nicht mehr zu wollen, als andere haben, wird das wohl nur Wunschdenken bleiben.

[blacksister´s ghost]

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[Phönix75]

@blacksister´s ghost

Du hast das schlicht fehlinterpretiert. Meine Worte waren doch, nicht mehr zu wollen, als andere. Dieses ständige "sich gegenseitig übertrumpfen wollen" geht mir gelinde gesagt ziemlich auf die Nüsse. Siehst du doch auf der Strasse. Es reicht nicht mehr, als einzelne Person, sich mit einem Kleinwagen zufrieden zu geben, sondern es muss der SUV sein. Einfache Erklärung dafür: Weil sie es können und damit etwas darstellen. -> Statussymbol. Und der nächste muss ein noch größeres Auto besitzen, ob er es nun braucht oder nicht.
Und solche Beispiele sind endlos weiterzuführen.
Das gleiche Geld für die gleiche Arbeit, die jemand anderes macht hat doch damit nichts zu tun. Das sollte Grundvoraussetzung sein. Aber wenn jemand für die gleiche Arbeit weniger bekommt, fängt das Konkurrenzdenken doch schon an. Am Ende ist der so geschickt und handelt beim AG dann mehr heraus als der, der vorher mehr hatte als du. Eine Endlosspirale. Aber Vergütung ist da wahrscheinlich ein schlechtes Beispiel. Aber solche Endlosspiralen gibts in vielen Bereichen, siehe Mietpreise usw..

Und Demut ist immer eine innere Einstellung. Sich ständig mit anderen (vorallem materiell) messen zu wollen kann tierisch stressen und vergeudet nur unnütz wertvolle Ressourcen auf der Welt. Damit klammere ich aber Wissen aus. Da kann man sich jederzeit mit anderen messen, sofern man dazulernen möchte.


Edit: Ein wertvolles "e" hinzugefügt.

[blacksister´s ghost]

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