Ich sitze grad krank daheim, drum wird das wohl etwas länger.
Fanchen hat geschrieben: ↑Montag 4. November 2019, 12:56
Wir importieren doch aktuell schon mehr als wir exportieren.
Ich weigere mich ja, mich bei so etwas wichtigem wie Ernährungssicherheit ausschließlich auf ein einziges Land oder auch nur Europa zu konzentrieren.
Elric hat geschrieben: ↑Montag 4. November 2019, 08:12
Wie gesagt, wenn man die Verhältnisse des Ersten Weltkriegs als Maßstab nimmt, ergibt sich ein ganz brauchbarer Überblick:
Ich glaub das ist ein absoluter Sonderfall, das kann man nicht einfach auf die Welt hochskalieren.
Aber ich kenn mich mit der Zeit ja so ziemlich überhaupt nicht aus - wie war denn das mit den Agrarmärkten damals? Ich glaub schon, dass internationaler Handel ziemlich zum Erliegen kam, ich glaub auch, dass die Bevölkerung dank Nationalismus eher bereit war, "Opfer" zu bringen und auf Luxus zu verzichten. Ansonsten geht mein Wissen nicht über den Steckrübenwinter hinaus ...
Nach einem kurzen Blick ins
Ärzteblatt: Ich glaub was Du als "grade eben so" bezeichnest läuft in meinen Augen unter "vollkommen unausreichend, insbesondere in Hinblick auf nachwachsende Generationen".
Hunger fängt ja nicht erst dann an, wenn Leute sterben; die Gesundheit und Leistungsfähigkeit wird ja schon vorher massiv und langfristig negativ beeinflusst. Aber es illustriert natürlich sehr schön, dass eine der größten Bedrohungen für Ernährungssicherheit schlicht und ergreifend Kriege sind, daran hat sich ja nichts geändert.
Grauer Wolf hat geschrieben: ↑Sonntag 3. November 2019, 23:44
Wäre ebenfalls auf harte Fakten gespannt....
Gibt auf jeden Fall was in
Nature, wo die Bio-Landwirtschaft und konventionelle Landwirtschaft verglichen haben. Das klammert jetzt Landmaschinen aus, logischerweise, und selbstverständlich wird auch in der Bio-Landwirtschaft gedüngt (nur anders), aber besser als nichts. Den ganzen Mist mit ohne Maschinen usw. durchzurechen wäre imho eh Verschwendung von Zeit und Steuergeldern. An dem Paper haben zehn Leute (plus der Obermacker) gesessen, und das sicher ein Weilchen; sowas macht man ja nicht mal nebenher an einem Nachmittag. Warum sollten die sich ein vollkommen unrealistisches Szenario anschauen? Die haben da echt besseres zu tun.
Das größte Problem bei weniger intensiver Landwirtschaft ist jedenfalls, dass man schlicht und ergreifend mehr Land für die gleiche Menge an Nahrungsmitteln braucht. Das führt dann zu mehr Abholzung, mehr Erosion etc. pp. - man sägt da also genauso an dem Ast, auf dem man sitzt. Mehr Leute braucht man sicher auch, aber die 90% scheinen mir etwas übertrieben. Es sei denn man geht in Richtung Steinzeitkommunismus, so wie die Roten Khmer.
Und die geben selber zu, wie schwierig das ist - nicht mal die Daten von der FAO decken alle Regionen ab. Grade in Ländern, wo
Subsistenzwirtschaft eine gigantische Rolle spielt, ist es vollkommen illusorisch, da an zuverlässige Zahlen zu kommen. In D spielt sowas ja nur eine minimale Rolle, da kann man das getrost ignorieren, aber in anderen Regionen sieht das schon ganz, ganz anders aus.
Ich glaub was es halbwegs gut zusammenfasst:
"Solely converting to 100% organic production within an agricultural production system that should provide the same quantities and composition of outputs as in the reference scenario is not viable and would lead to increased agricultural land use. To be able to comprehensively assess the potential and challenges of a global conversion to organic agriculture, modelling the consequences of such a conversion needs to be based on a comprehensive food systems perspective, as has been adopted here, rather than simply addressing organic yield gaps. The key-challenges of land demand, and to a lesser extent N-supply, for large-scale conversion to organic production also reflect the multi-factorial perspective on maintaining soil fertility, nutrient recycling and ecosystem services,
instead of adopting a maximum yield goal for single crops as a stand-alone performance criterion." (Hervorhebung von mir)
Sprich: Nur auf den Ertrag zu schauen ist verdammt kurzsichtig.
Infolgedessen ist das natürlich ein Monstrum von einem Modell. Ich glaub ich hab schon öfter erwähnt, dass ich Modelle nicht besonders mag, oder?
Aber selbst dieses Monstrum bildet die Realität natürlich nicht komplett ab.
Was sind denn die Hauptgründe für Hunger? Armut, (bewaffnete) Konflikte und Vertreibung. Die haben mit landwirtschaftlichen Erträgen eher am Rande zu tun.
Weiter: Extreme Wetterbedingungen. Die durch den Klimawandel noch viel häufiger werden. Wird in dem Modell angesprochen, aber ich glaub Klimawissenschaftler würden sich ob der groben Vereinfachung die Haare raufen.
Dann kommt noch die steigende Nachfrage nach Fleisch ins Spiel - in Ländern wie China und Indien wächst die extrem. Generell lassen sich Ernährungsgewohnheiten ganz, ganz schlecht ändern. Klar, Gerste ist resistenter gegenüber Trockenheit als Weizen, hat aber auch andere Backeigenschaften. Zu erwarten, dass Leute ihre gesamte traditionelle Küche aus dem Fenster werfen, ist ziemlich naiv.
Transportverluste sind auch noch eine riesige Sache, da ist noch viel Luft nach oben.
Biodiversität haben sie auch nur nebenbei erwähnt.
Fische haben sie in einem anderen Paper abgehandelt.
Fairerweise geben sie auch zu, dass sie auch die wirtschaftlichen Faktoren rausgelassen haben ("The SOL-model is a physical mass balance model capturing biomass and nutrient flows to assess the physical feasibility of different scenarios. It does not take into account economic restrictions and market effects relating changes in quantities to changes in prices. Economic aspects are key for the social viability of these scenarios, but their inclusion would come at the expense of the detailed commodity and country differentiation, and would require many additional assumptions on price and cross-price elasticities. This would increase model complexity considerably and hamper straightforward interpretation regarding physical viability of the scenarios, which is our focus here."), wobei die selbstverständlich ebenfalls eine gigantische Rolle spielen. Nehmen wir nur mal den letzten Tweet von FAO Statistics:
"The @FAO GIEWS on #Argentina is out:
- Government declares food emergency amidst worsening access to food
- Despite the 2019 record cereal production, prices continue to increase "
Kann man also zusammenfassen mit "alles nicht so einfach".
Btw: Man kann sich zu dem Ding auch die ganzen
Peer reviews anschauen, das ist durchaus aufschlussreich. Ein großer Kritikpunkt zu vorhergehenden Versionen ist: "Leute, schreibt verständlicher - ihr schreibt für Nature, das lesen auch Fachfremde, nicht nur Spezialisten!"