Heute vor zwei Jahren am 20. Februar 2020 wurde hier in Baden-Württemberg die erste Covid-19 Infektion nachgewiesen.... Lang ist's her. Wie gestern.
Wie geht ihr um, mit Corona, Covid-19
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Re: Wie geht ihr um, mit Corona, Covid-19
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Man soll Leuten nicht Boshaftigkeit unterstellen,
wenn man ihr Verhalten genau so gut durch Dummheit erklären kann.
(Hanlon's Razor)
wenn man ihr Verhalten genau so gut durch Dummheit erklären kann.
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Re: Wie geht ihr um, mit Corona, Covid-19
Aus gegebenen Anlass und weil ja seit dem Ende der Pandemie mehr oder weniger der Mantel des Schweigens ausgebreitet wurde, hier mal eine Story eines doch recht bekannten Regisseurs. Nachzulesen aber nur nach der Bazahlschranke der Welt: https://www.welt.de/kultur/plus25142467 ... seins.html
Da ich das auch als PDF vorrätig habe, werde ich es mal hier rein kopieren:
KRITIK AN CORONA-MASSNAHMEN
Die vorläufige Bilanz meines Mutigseins
Stand: 31.05.2024 - 15:14 Uhr | Lesedauer: 13 Minuten
„Steinigungsreflexe“: Regisseur Dietrich Brüggemann
Quelle: picture alliance/Geisler-Fotopress/Anita Bugge
War es richtig, die Stimme zu erheben und die deutsche Corona-Politik zu kritisieren?
Dietrich Brüggemann machte 2021 bei der Aktion #allesdichtmachen mit. Hier
berichtet der Regisseur und Autor, welche Konsequenzen das bis heute für ihn hat –
und nennt dabei auch Namen.
Seit ich denken kann, wurde mir gesagt, man solle „mutig sein“, gern auch
„unbequem“. Literaten und Künstler, die ihre Stimme gegen die Staatsmacht
erhoben, waren stets leuchtende Vorbilder. Da ich das Glück hatte, in einem Land
aufzuwachsen, in dem man weitgehend tun und lassen konnte, was man wollte, sah ich
mich in dieser Hinsicht nie besonders gefordert. Eine gewisse Distanz zur politischen und
gesellschaftlichen Macht war mir gleichwohl selbstverständlich, und damit fühlte ich mich
nicht allein. Alle um mich herum fanden Vorratsdatenspeicherung falsch, Gentechnik
ungut und so weiter. Mutig war das nicht, aber im Zweifelsfall, na klar, wären wir mutig
gewesen.
Seit 2020 ist aber einiges passiert, das mich neu ins Nachdenken bringt: Sollte man mutig
sein? Vom künstlerischen Standpunkt aus würde ich weiterhin sagen: Ja, unbedingt. Rein
Dietrich Brüggemann: Die vorläufige Bilanz meines Mutigseins - WELT https://www.welt.de/kultur/plus25142467 ... ggemann-Di...
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strategisch: Vielleicht eher nicht.
Im Frühjahr 2020 ging eine Erzählung von einem neuartigen Virus (/kultur/
plus207470579/Corona-und-Politik-der-Angst-Die-Unterwerfung.html) um die Welt.
Niemand war immun, deswegen sollten wir alle zu Hause bleiben und ganze
Gesellschaften lahmlegen. Ich fand das fragwürdig. Es gab genügend Fachleute, die sich
anders äußerten, und die ungeheuren Schäden, die solche Maßnahmen anrichten würden,
waren für mich offensichtlich. Also tat ich, was ich immer tat: Ich blieb skeptisch. Ich
musste allerdings bald feststellen, dass ich diesmal mit meiner Haltung allein war. Ein Jahr
lang sah ich mir an, wie die Corona-Maßnahmen sich immer mehr verselbständigten. Dann
kam ich mit einer Gruppe von Schauspielern in Kontakt, die die Situation genauso
erschreckend fanden wie ich, und so entstand die Aktion #allesdichtmachen (https://
www.youtube.com/channel/UC3_dHQpx8O9JT2LW1U2Beuw). Nach einem Jahr voller fruchtloser
Argumente waren Argumente offensichtlich egal, also machten wir stattdessen Witze. Die
Empörung kannte daraufhin keine Grenzen. Wir hatten ein paar Videos ins Netz gestellt,
niemand musste sie anschauen, aber was jetzt passierte, wäre in vormodernen Zeiten eine
Steinigung durch einen wütenden Mob gewesen.
Hat mir das beruflich geschadet?
Die Antwort besteht aus vielen Einzelteilen. Betrachten wir sie der Reihe nach.
Einige Tage nach der Aktion erschienen zwei Texte (https://www.tagesspiegel.de/kultur/
eine-frage-des-abstands-4246396.html) im „Tagesspiegel“, in denen gemutmaßt wurde
(https://www.tagesspiegel.de/kultur/die- ... te-hinter-
allesdichtmachen-5397289.html), die Aktion sei von einer „kleinen Gruppe von Aktivisten
mit undurchsichtiger Agenda“ geplant worden, es gebe „Verbindungen ins Querdenker-
Milieu“, aber vor allem war ich persönlich der Bösewicht, ich wolle „die Grenze zwischen
Wahr und Falsch verwischen“ und so weiter. Der „Tagesspiegel“ hatte mich nicht zur Sache
befragt und sich auch andere Fehler geleistet (/kultur/plus230896271/allesdichtmachen-
Wenn-Journalisten-Verfassungsschutz-spielen.html), musste die Texte immer wieder
korrigieren und stand am Ende peinlich entblößt da. Ich fand die Artikel ärgerlich, aber
auch lächerlich und nahm nicht an, dass irgendjemand so etwas ernst nehmen würde.
Dietrich Brüggemann: Die vorläufige Bilanz meines Mutigseins - WELT https://www.welt.de/kultur/plus25142467 ... ggemann-Di...
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Zwei Wochen nach der Aktion rief ich Gunnar Cynybulk an, den Inhaber des Kanon-
Verlags, bei dem mein Roman „Materialermüdung“ (/kultur/plus240656233/Dietrich-
Brueggemann-Das-ist-die-Hysterie-der-Spezies-Mensch.html) ursprünglich erscheinen
sollte. Ich hatte Cynybulk als klugen und bedächtigen Menschen kennengelernt, und als
ich zum Hörer griff, ging ich davon aus, dass er sagen würde, man solle diesen Sturm im
Wasserglas jetzt bitte zu den Akten legen und lieber den Roman fertigschreiben. Das
Gespräch verlief jedoch anders. Cynybulk druckste herum, er hätte mich ohnehin bald
angerufen, er habe intensiv nachgedacht und auch in Abstimmung mit den Gesellschaftern
beschlossen, meinen Roman nicht zu veröffentlichen.
Mir fiel die Kinnlade herunter. War nicht die Loyalität von Verlegern zu Autoren, die im
Kreuzfeuer stehen, eine klassische Tugend in der Literaturwelt? Offenbar nicht. „Kanon
möchte“, schrieb er mir danach, „eine Literatur ermöglichen, die nicht destruktiv ist, und
Künstler:innen fördern, die ihre Meinungsfreiheit nicht missverstehen“. Außerdem bat er
mich nachdrücklich darum, Stillschweigen über diesen Vorgang zu bewahren – und dann
forderte er noch den bereits gezahlten Vorschuss zurück. „Die politisch motivierten
Verlautbarungen“, schrieb er danach an meine Literaturagentin, die glücklicherweise zu
mir hielt, „entwerten und beschädigen das Kunstwerk. Es wäre spannend zu sehen,
inwieweit Gerichte dieser Lesart folgen.“ Außerdem sei ein Verzicht auf den Vorschuss in
Höhe von 5000 Euro „für einen Verlag in seiner Gründungsphase undenkbar“.
So dringend wollte er dann doch nicht herausfinden, ob Gerichte dieser Lesart folgen,
zumindest hat er mich nicht auf Rückzahlung verklagt. Ich habe Gunnar Cynybulk im
Vorfeld dieses Textes gefragt, ob er die damalige Entscheidung weiterhin richtig findet,
bekam jedoch keine Antwort.
Ein „Schlag ins Gesicht“
Im Jahr 2017 hatte ich mit der Musikerin Desiree Klaeukens die Band Theodor Shitstorm
gegründet. Unser zweites Album sollte bei dem Hamburger Label Grand Hotel van Cleef
erscheinen, für das ich seit 2010 zahlreiche Videos gedreht hatte und dem ich mich
freundschaftlich verbunden fühlte. Auch hier war jetzt helle Aufregung. Labelchef und
Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch ignorierte mein Angebot, persönlich zu reden,
stattdessen ließ er uns in einem Zoom-Call einige Wochen später von seinem Kollegen
Rainer G. Ott die Entscheidung überbringen, dass man sich von uns trennen werde. Es
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war, wie er selbst sagte, das erste Mal in der Labelgeschichte, dass man eine Band
hinauswarf. Es folgten ein paar Mails sowie ein Telefongespräch, das bald in Anschreien
überging. Schließlich schrieb er mir, das Ganze sei ein „Schlag ins Gesicht“ (von mir an
ihn, nicht etwa umgekehrt) „und für mich die größte Enttäuschung der Labelgeschichte“.
Die Folgen waren für die Band unerfreulich, aber wir haben selbst ein Label gegründet,
und das Album ist nun endlich im Februar 2024 erschienen (/kultur/plus240656233/
Dietrich-Brueggemann-Das-ist-die-Hysterie-der-Spezies-Mensch.html). Ich habe Grand
Hotel van Cleef um Stellungnahme gebeten, ob sie die damalige Entscheidung immer noch
richtig finden, aber keine Antwort bekommen.
Mein Roman war unterdessen bei einem Lektor des Verlags Hoffmann und Campe
gelandet, und der schrieb mir, das Buch sei „nichts weniger als das absolut umwerfende
Porträt der deutschen Republik im Jahre 2021, ein großer, unglaublich unterhaltsamer
Roman, gespickt mitunter mit den besten Dialogen, die ich in meiner zwanzigjährigen
Karriere als Lektor gelesen habe“. So etwas liest man natürlich gern, aber die Freude
währte nicht lang, denn gleich darunter schrieb er, dass man es bei Hoffmann und Campe
„sich aber nicht zutraut, Ihren Roman so aufzustellen, wie er aufgestellt werden müsste
aufgrund der Verwerfungen im vergangenen Frühjahr“. Das fand ich wiederum
bedauerlich, denn die erwähnte Loyalität zum kontroversen Autor gehört bei Hoffmann
und Campe nun wirklich zum Tafelsilber, das geht zurück bis zu Heinrich Heine, der
seinen Verleger besingt, er wolle mit Campen „in Rheinwein und Austern schlampampen“,
und auch in jüngerer Zeit hatte man hier zum Beispiel kein Problem mit Monika Maron,
nachdem sie bei Fischer nicht mehr erwünscht war. Ich habe an Hoffmann und Campe
geschrieben und gefragt, wie man heute zu dieser Entscheidung steht, aber bisher kam
keine Antwort.
„Stern TV“ war die einzige Talkshow, die nach #allesdichtmachen mit uns und nicht nur
über uns reden wollte. Ich nahm die Einladung an, musste mich aber im Vorfeld einer
merkwürdigen Inszenierung erwehren: Man hatte in einem Schneideraum unsere 53
Videos auf den Monitoren arrangiert, dort sollte ich mich davorsetzen und so tun, als sei
ich gerade mitten in der Postproduktion, und das wollte man dann zwischen Statements
von betroffen-empörten Schauspielkollegen schneiden. In der Sendung (https://
www.youtube.com/watch?v=ayQxRM72Ego) gelang es mir, bei der Sache zu bleiben und mich
sogar mit meiner designierten Gegnerin, der Instagram-Ärztin „Doc Caro“ Holzner
(https://www.instagram.com/doc.caro.holzner/?hl=de), zu fraternisieren.
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Weitere Talkshows gab es nicht, Interviews in Leitmedien nur eines in der „Welt am
Sonntag“ (/kultur/plus230888431/allesdichtmachen-Es-gibt-Leute-die-sich-jetzt-
trauen-etwas-zu-sagen.html), dafür zahlreiche Texte, die meistens die Erfindungen des
„Tagesspiegel“ übernahmen. Besonders rustikal betätigte sich ein Autor namens Andreas
Hartmann, der in der „taz“ (https://taz.de/Kinotipps-der-Woche/!5763462/) unter dem
Titel „Werk, Autor, Sumpf“ feststellte, ich sei „richtig abgetaucht in den Sumpf“ und werde
„aus diesem so schnell wahrscheinlich auch nicht mehr herauskommen“. Ich habe bei der
Chefredaktion der „taz“ angefragt, ob man derartige Hetzartikel nach zwei Jahren
Drüberschlafen immer noch gut findet, aber bisher wurde nicht geantwortet.
Die meisten anderen Medienbeiträge ignorierte ich, nur als im Radio-Eins-Podcast
(https://www.youtube.com/watch?v=3KHuB3B3KqE&t=963s) von Serdar Somuncu und Florian
Schroeder behauptet wurde, ich sei „längst in einem Milieu unterwegs, das nicht nur am
Rand des Querdenkertums oder am Rand des Verschwörungsmystikers steht, sondern
mittendrin“, schrieb ich einen Brief samt Gesprächsangebot. Serdar Somuncu schrieb
zurück und lud mich in seine Sendung „Die Blaue Stunde“ ein. Das telefonische
Vorgespräch war offen und fair. Eine Stunde vor der Aufzeichnung rief mich dann Florian
Schroeder mit unterdrückter Nummer an und erläuterte mir in einem zwanzigminütigen
Monolog mit schneidender Stimme, dass Kritik an den Corona-Maßnahmen ganz
automatisch Verschwörungstheorie sei.
Die Sendung verlief dann wiederum anders als das Vorgespräch, geriet nämlich zu einer
Art Verhör mit ständigem Unterbrechen und inquisitorischer Fragerei.
„Verirrte Katastrophenpolitik“
Knapp zwei Jahre später hatte Serdar Somuncu dann seine Meinung geändert und
bezeichnete die Maßnahmen der Regierung (https://www.rundschau-online.de/kultur/
serdar-somuncu-wiederholt-kritik-an-corona-massnahmen-200534) als „verirrte
Katastrophenpolitik“. Daraufhin schrieb ich ihm, ob wir unsere Sendung vom Frühjahr
2021 vielleicht nochmal aufrollen sollten. Er antwortete mir, er habe mir Fragen gestellt,
ich hätte sie beantwortet und er sehe keinen weiteren Gesprächsbedarf. Ich schrieb
außerdem der Wortredaktion von Radio Eins, wie man es findet, wenn Andersdenkende
auf einem öffentlich-rechtlichen Sender, der ja vielleicht für Ausgewogenheit und
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Meinungsvielfalt stehen sollte, derart behandelt werden, aber es kam keine Antwort.
Mein Roman erschien dann im August 2023 bei einem kleinen Frankfurter Verlag, und die
Veröffentlichung war in ihrer Ereignislosigkeit zutiefst beeindruckend. Eine bestens im
Feuilleton vernetzte PR-Agentin fand das Buch zwar umwerfend und ging auf große
Werbetour, aber das brachte rein gar nichts. Ein befreundeter Journalist hätte es gern für
die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ rezensiert, durfte aber laut eigener Aussage
nicht, und bei meinem Verlag bekam ich eine SMS zu sehen, in der jemand schrieb: „Bei
der Vogue wie überall: N.’s Chef (Name geändert und abgekürzt, Anm. d. Red.) will nicht,
dass sie Brüggemann macht. Seine Tweets seien ‚gefährdend‘“.
Lorenz Maroldt, Chefredakteur des „Tagesspiegels“, war mit der Berichterstattung zu
#allesdichtmachen nicht glücklich. Das führte zu einem Gastbeitrag (https://
www.tagesspiegel.de/kultur/dietrich-bru ... ie-aktion-
allesdichtmachen-4255735.html), in dem ich meine Sicht der Dinge darlegen durfte. Dieser
erschien online, wanderte auf der Website aber schnell nach hinten. Wir blieben in losem
Kontakt, und als wir uns im Frühjahr 2022 mal wieder trafen, kam das Gespräch auf Harald
Martensteins Abgang als Kolumnist (/kultur/medien/plus237046703/Harald-Martenstein-
Es-waechst-eine-neue-totalitaere-Ideologie-heran.html), und ich sagte: Wie wär’s, wenn
ich für euch eine Kolumne schreibe? Klar, erwiderte Maroldt, machen wir. Ich fragte, ob er
das einfach so entscheiden könne, er sagte ja, also freute ich mich, und wir besiegelten den
Beschluss mit Handschlag vor Zeugen. Als ich aber zwei Wochen später darauf
zurückkommen wollte, flüchtete er sich in zahlreiche Bedenken und wollte nicht mehr an
seine Zusage erinnert werden. Was die Gründe waren, ist mir unklar, ich vermutete
redaktionsinternen Protest, aber immerhin durfte ich so in Erfahrung bringen, wieviel der
Handschlag von Lorenz Maroldt wert ist.
Es ist aber nicht so, dass es nur Gegenwind gegeben hätte. Im Sommer 2021 rief mich ein
Drehbuchdozent der Babelsberger Filmuniversität an und sagte, es sei eine halbe Professur
ausgeschrieben, ich solle mich bewerben, man bräuchte mehr eigenwillige Leute. Also
schrieb ich eine Bewerbung. Zwei Tage vor der öffentlichen Anhörung im Mai 2022 bekam
ich eine anonyme Mail, in der ich gewarnt wurde, unter den Studierenden kursiere ein
offener Brief gegen mich. Der Brief war angehängt, und darin stand, ich würde Corona
„verharmlosen“, „wissenschaftliche Erkenntnisse“ leugnen und mich „herablassend und
respektlos zur Gender-Debatte und zu feministischen Standpunkten“ äußern.
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Unterschrieben hatten einige hundert Hochschulangehörige, darunter alle drei
amtierenden Vizepräsidenten. Einer davon ist der Produzent Martin Hagemann, den ich
bisher sehr geschätzt hatte. Wenn man mir mit einem offenen Brief gegen Martin
Hagemann gekommen wäre, dann hätte ich zum Telefon gegriffen und ihn angerufen. Ich
habe ihm geschrieben und gefragt, wie er mittlerweile dazu steht, aber bisher kam keine
Antwort.
Die Anhörung selbst verlief harmlos und friedfertig, dann wurde das Berufungsverfahren
zwei Jahre lang verschleppt und schließlich Anfang Mai 2024 wegen Überschreitung der
Höchstdauer abgebrochen. Auf Anfrage teilte die Filmuniversität mir mit, ich sei im Votum
der Berufungskommission auf Platz 1 der Liste gewesen, die Abbruchentscheidung habe
aber nichts mit mir oder meinem gesellschaftspolitischen Engagement zu tun. Zudem
drohte man mir, man werde, falls ich in den Medien einen solchen Zusammenhang
nahelegen sollte, „gegen eine etwaige Falschaussage vorgehen“. Auf meine Anfrage, warum
das Verfahren denn eigentlich so lang gedauert hat, kam keine Antwort.
Die fehlende Medienresonanz zu „Materialermüdung“ betrübte mich natürlich, also
schickte ich ein Exemplar an die Radio-Eins-Moderatorin Bettina Rust, die mir seit Jahren
freundlich zugetan war. Sie las es und mochte es sehr. Auf die Frage, ob wir mal eine
Sendung machen, antwortete sie aber ausweichend und teilte mir schließlich mit, die
Programmchefin Dorothee Hackenberg wünsche nicht, dass ich eingeladen werde. Und
das war der Moment, in dem ich dann doch ungehalten wurde. Man darf also beim RBB
nur dann in Erscheinung treten, wenn man keine politischen Meinungen geäußert hat, die
der Chefin nicht passen? Ich habe Frau Hackenberg und auch die Intendanz um
Stellungnahme gebeten und warte seitdem gespannt auf Antwort, denn als öffentlich-
rechtlicher Sender verstößt der RBB hier eklatant gegen seinen Auftrag, aber anscheinend
ist man hier mit einem PR-Desaster (/debatte/kommentare/article240920971/Entlassene-
RBB-Intendantin-Das-System-Schlesinger-ist-ueberall.html) nicht zufrieden, sondern will
möglichst viele weitere.
Das Schweigen danach
Und dann wäre da noch der allerneueste Eintrag in der Liste: Ich hatte unter Pseudonym
ein kleines Buch bei einem Kinderbuch-Literaturagenten eingereicht. Er fand es toll, bot
mir Vertretung an und schickte einen Vertrag. Als ich daraufhin bekannt gab, wer ich
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wirklich bin (ich hielt das auch nach drei Jahren für unproblematisch) war er ganz entsetzt
und wollte nichts mehr davon wissen.
Es gab allerhand kleinere Vorfälle, die aufzuzählen hier den Rahmen sprengen würde. Aber
es finden sich wiederkehrende Motive: Man hat es sich nicht leicht gemacht, man hat viel
nachgedacht, man hat auch nie allein entschieden, sondern in Abstimmung mit
irgendeinem Kollektiv, und man hat nie das Naheliegendste hingekriegt, nämlich zum
Telefon zu greifen und mit mir zu reden. Dabei ist „miteinander reden“ doch eigentlich
eine Tugend, die in ähnlich hohem Ruf steht wie „mutig sein“.
Die vorläufige Bilanz des Mutigseins lautet also: Spar dir den Ärger. Auf einem Gebiet
sehen die Dinge jedoch anders aus, und zwar in meinem Hauptberuf als Filmemacher. Die
öffentlich-rechtlichen Spielfilmredaktionen, mit denen ich zu tun habe, sind nämlich
offenbar die einzigen Stellen im Land, bei denen man nicht gleich rausgeworfen wird,
wenn man die Regierung kritisiert. Ich drehe einen „Tatort“ mit Ulrich Tukur und
entwickle einen weiteren für das Stuttgarter Team. Es ist also am Ende erfreulich, dass
man bei einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung seine Stimme erheben und dann trotz
großer Hysterie weiterhin kulturschaffender Teil der Gesellschaft sein kann.
Für diejenigen, die den Ausgrenzungs- und Steinigungsreflexen nachgegeben haben, ist es
gleichwohl peinlich, aber diese Peinlichkeit ist ein Anzeichen dafür, dass etwas schiefläuft,
und deswegen nenne ich hier auch bewusst Namen. Bezeichnend finde ich außerdem das
Schweigen, das auf all meine Anfragen folgte. Wenn man damals so intensiv nachgedacht
hat, dann sollte man doch zumindest bestätigen können, dass man die getroffene
Entscheidung weiterhin richtig findet. Doch dazu scheint niemand in der Lage zu sein.
Was hindert einen dann andererseits, zuzugeben: Es war vielleicht falsch?
Ich würde gern schließen, dass wir „als Gesellschaft“ wieder zu einer besseren
„Debattenkultur“ finden sollten, aber solche Appelle erscheinen mir angesichts der hier
versammelten Erlebnisse illusorisch. Die Zeit wird Corona irgendwann ins rechte Licht
rücken, aber bei der nächsten Gelegenheit wird dieselbe Choreographie mit anderen
Akteuren wieder genauso ablaufen. Meine Aufgabe sehe ich daher nicht in folgenlosen
Appellen, sondern im Erzählen, denn am Ende geben all diese Ereignisse dankbare Stoffe
für Filme und Romane her. Mir schwante schon im April 2021, dass ich mein Leben
irgendwann in den Teil vor und den nach #allesdichtmachen unterteilen würde, und in
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dieser Hinsicht freue ich mich auf den zweiten Teil und all die Filme und Bücher, die man
über diese Zeit machen kann.
Die WELT als ePaper: Die vollständige Ausgabe steht Ihnen bereits am Vorabend zur Verfügung – so
sind Sie immer hochaktuell informiert. Weitere Informationen: http://epaper.welt.de
Der Kurz-Link dieses Artikels lautet: https://www.welt.de/251424670
Da ich das auch als PDF vorrätig habe, werde ich es mal hier rein kopieren:
KRITIK AN CORONA-MASSNAHMEN
Die vorläufige Bilanz meines Mutigseins
Stand: 31.05.2024 - 15:14 Uhr | Lesedauer: 13 Minuten
„Steinigungsreflexe“: Regisseur Dietrich Brüggemann
Quelle: picture alliance/Geisler-Fotopress/Anita Bugge
War es richtig, die Stimme zu erheben und die deutsche Corona-Politik zu kritisieren?
Dietrich Brüggemann machte 2021 bei der Aktion #allesdichtmachen mit. Hier
berichtet der Regisseur und Autor, welche Konsequenzen das bis heute für ihn hat –
und nennt dabei auch Namen.
Seit ich denken kann, wurde mir gesagt, man solle „mutig sein“, gern auch
„unbequem“. Literaten und Künstler, die ihre Stimme gegen die Staatsmacht
erhoben, waren stets leuchtende Vorbilder. Da ich das Glück hatte, in einem Land
aufzuwachsen, in dem man weitgehend tun und lassen konnte, was man wollte, sah ich
mich in dieser Hinsicht nie besonders gefordert. Eine gewisse Distanz zur politischen und
gesellschaftlichen Macht war mir gleichwohl selbstverständlich, und damit fühlte ich mich
nicht allein. Alle um mich herum fanden Vorratsdatenspeicherung falsch, Gentechnik
ungut und so weiter. Mutig war das nicht, aber im Zweifelsfall, na klar, wären wir mutig
gewesen.
Seit 2020 ist aber einiges passiert, das mich neu ins Nachdenken bringt: Sollte man mutig
sein? Vom künstlerischen Standpunkt aus würde ich weiterhin sagen: Ja, unbedingt. Rein
Dietrich Brüggemann: Die vorläufige Bilanz meines Mutigseins - WELT https://www.welt.de/kultur/plus25142467 ... ggemann-Di...
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strategisch: Vielleicht eher nicht.
Im Frühjahr 2020 ging eine Erzählung von einem neuartigen Virus (/kultur/
plus207470579/Corona-und-Politik-der-Angst-Die-Unterwerfung.html) um die Welt.
Niemand war immun, deswegen sollten wir alle zu Hause bleiben und ganze
Gesellschaften lahmlegen. Ich fand das fragwürdig. Es gab genügend Fachleute, die sich
anders äußerten, und die ungeheuren Schäden, die solche Maßnahmen anrichten würden,
waren für mich offensichtlich. Also tat ich, was ich immer tat: Ich blieb skeptisch. Ich
musste allerdings bald feststellen, dass ich diesmal mit meiner Haltung allein war. Ein Jahr
lang sah ich mir an, wie die Corona-Maßnahmen sich immer mehr verselbständigten. Dann
kam ich mit einer Gruppe von Schauspielern in Kontakt, die die Situation genauso
erschreckend fanden wie ich, und so entstand die Aktion #allesdichtmachen (https://
www.youtube.com/channel/UC3_dHQpx8O9JT2LW1U2Beuw). Nach einem Jahr voller fruchtloser
Argumente waren Argumente offensichtlich egal, also machten wir stattdessen Witze. Die
Empörung kannte daraufhin keine Grenzen. Wir hatten ein paar Videos ins Netz gestellt,
niemand musste sie anschauen, aber was jetzt passierte, wäre in vormodernen Zeiten eine
Steinigung durch einen wütenden Mob gewesen.
Hat mir das beruflich geschadet?
Die Antwort besteht aus vielen Einzelteilen. Betrachten wir sie der Reihe nach.
Einige Tage nach der Aktion erschienen zwei Texte (https://www.tagesspiegel.de/kultur/
eine-frage-des-abstands-4246396.html) im „Tagesspiegel“, in denen gemutmaßt wurde
(https://www.tagesspiegel.de/kultur/die- ... te-hinter-
allesdichtmachen-5397289.html), die Aktion sei von einer „kleinen Gruppe von Aktivisten
mit undurchsichtiger Agenda“ geplant worden, es gebe „Verbindungen ins Querdenker-
Milieu“, aber vor allem war ich persönlich der Bösewicht, ich wolle „die Grenze zwischen
Wahr und Falsch verwischen“ und so weiter. Der „Tagesspiegel“ hatte mich nicht zur Sache
befragt und sich auch andere Fehler geleistet (/kultur/plus230896271/allesdichtmachen-
Wenn-Journalisten-Verfassungsschutz-spielen.html), musste die Texte immer wieder
korrigieren und stand am Ende peinlich entblößt da. Ich fand die Artikel ärgerlich, aber
auch lächerlich und nahm nicht an, dass irgendjemand so etwas ernst nehmen würde.
Dietrich Brüggemann: Die vorläufige Bilanz meines Mutigseins - WELT https://www.welt.de/kultur/plus25142467 ... ggemann-Di...
2 von 9 31.05.2024, 20:54
Zwei Wochen nach der Aktion rief ich Gunnar Cynybulk an, den Inhaber des Kanon-
Verlags, bei dem mein Roman „Materialermüdung“ (/kultur/plus240656233/Dietrich-
Brueggemann-Das-ist-die-Hysterie-der-Spezies-Mensch.html) ursprünglich erscheinen
sollte. Ich hatte Cynybulk als klugen und bedächtigen Menschen kennengelernt, und als
ich zum Hörer griff, ging ich davon aus, dass er sagen würde, man solle diesen Sturm im
Wasserglas jetzt bitte zu den Akten legen und lieber den Roman fertigschreiben. Das
Gespräch verlief jedoch anders. Cynybulk druckste herum, er hätte mich ohnehin bald
angerufen, er habe intensiv nachgedacht und auch in Abstimmung mit den Gesellschaftern
beschlossen, meinen Roman nicht zu veröffentlichen.
Mir fiel die Kinnlade herunter. War nicht die Loyalität von Verlegern zu Autoren, die im
Kreuzfeuer stehen, eine klassische Tugend in der Literaturwelt? Offenbar nicht. „Kanon
möchte“, schrieb er mir danach, „eine Literatur ermöglichen, die nicht destruktiv ist, und
Künstler:innen fördern, die ihre Meinungsfreiheit nicht missverstehen“. Außerdem bat er
mich nachdrücklich darum, Stillschweigen über diesen Vorgang zu bewahren – und dann
forderte er noch den bereits gezahlten Vorschuss zurück. „Die politisch motivierten
Verlautbarungen“, schrieb er danach an meine Literaturagentin, die glücklicherweise zu
mir hielt, „entwerten und beschädigen das Kunstwerk. Es wäre spannend zu sehen,
inwieweit Gerichte dieser Lesart folgen.“ Außerdem sei ein Verzicht auf den Vorschuss in
Höhe von 5000 Euro „für einen Verlag in seiner Gründungsphase undenkbar“.
So dringend wollte er dann doch nicht herausfinden, ob Gerichte dieser Lesart folgen,
zumindest hat er mich nicht auf Rückzahlung verklagt. Ich habe Gunnar Cynybulk im
Vorfeld dieses Textes gefragt, ob er die damalige Entscheidung weiterhin richtig findet,
bekam jedoch keine Antwort.
Ein „Schlag ins Gesicht“
Im Jahr 2017 hatte ich mit der Musikerin Desiree Klaeukens die Band Theodor Shitstorm
gegründet. Unser zweites Album sollte bei dem Hamburger Label Grand Hotel van Cleef
erscheinen, für das ich seit 2010 zahlreiche Videos gedreht hatte und dem ich mich
freundschaftlich verbunden fühlte. Auch hier war jetzt helle Aufregung. Labelchef und
Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch ignorierte mein Angebot, persönlich zu reden,
stattdessen ließ er uns in einem Zoom-Call einige Wochen später von seinem Kollegen
Rainer G. Ott die Entscheidung überbringen, dass man sich von uns trennen werde. Es
Dietrich Brüggemann: Die vorläufige Bilanz meines Mutigseins - WELT https://www.welt.de/kultur/plus25142467 ... ggemann-Di...
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war, wie er selbst sagte, das erste Mal in der Labelgeschichte, dass man eine Band
hinauswarf. Es folgten ein paar Mails sowie ein Telefongespräch, das bald in Anschreien
überging. Schließlich schrieb er mir, das Ganze sei ein „Schlag ins Gesicht“ (von mir an
ihn, nicht etwa umgekehrt) „und für mich die größte Enttäuschung der Labelgeschichte“.
Die Folgen waren für die Band unerfreulich, aber wir haben selbst ein Label gegründet,
und das Album ist nun endlich im Februar 2024 erschienen (/kultur/plus240656233/
Dietrich-Brueggemann-Das-ist-die-Hysterie-der-Spezies-Mensch.html). Ich habe Grand
Hotel van Cleef um Stellungnahme gebeten, ob sie die damalige Entscheidung immer noch
richtig finden, aber keine Antwort bekommen.
Mein Roman war unterdessen bei einem Lektor des Verlags Hoffmann und Campe
gelandet, und der schrieb mir, das Buch sei „nichts weniger als das absolut umwerfende
Porträt der deutschen Republik im Jahre 2021, ein großer, unglaublich unterhaltsamer
Roman, gespickt mitunter mit den besten Dialogen, die ich in meiner zwanzigjährigen
Karriere als Lektor gelesen habe“. So etwas liest man natürlich gern, aber die Freude
währte nicht lang, denn gleich darunter schrieb er, dass man es bei Hoffmann und Campe
„sich aber nicht zutraut, Ihren Roman so aufzustellen, wie er aufgestellt werden müsste
aufgrund der Verwerfungen im vergangenen Frühjahr“. Das fand ich wiederum
bedauerlich, denn die erwähnte Loyalität zum kontroversen Autor gehört bei Hoffmann
und Campe nun wirklich zum Tafelsilber, das geht zurück bis zu Heinrich Heine, der
seinen Verleger besingt, er wolle mit Campen „in Rheinwein und Austern schlampampen“,
und auch in jüngerer Zeit hatte man hier zum Beispiel kein Problem mit Monika Maron,
nachdem sie bei Fischer nicht mehr erwünscht war. Ich habe an Hoffmann und Campe
geschrieben und gefragt, wie man heute zu dieser Entscheidung steht, aber bisher kam
keine Antwort.
„Stern TV“ war die einzige Talkshow, die nach #allesdichtmachen mit uns und nicht nur
über uns reden wollte. Ich nahm die Einladung an, musste mich aber im Vorfeld einer
merkwürdigen Inszenierung erwehren: Man hatte in einem Schneideraum unsere 53
Videos auf den Monitoren arrangiert, dort sollte ich mich davorsetzen und so tun, als sei
ich gerade mitten in der Postproduktion, und das wollte man dann zwischen Statements
von betroffen-empörten Schauspielkollegen schneiden. In der Sendung (https://
www.youtube.com/watch?v=ayQxRM72Ego) gelang es mir, bei der Sache zu bleiben und mich
sogar mit meiner designierten Gegnerin, der Instagram-Ärztin „Doc Caro“ Holzner
(https://www.instagram.com/doc.caro.holzner/?hl=de), zu fraternisieren.
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Weitere Talkshows gab es nicht, Interviews in Leitmedien nur eines in der „Welt am
Sonntag“ (/kultur/plus230888431/allesdichtmachen-Es-gibt-Leute-die-sich-jetzt-
trauen-etwas-zu-sagen.html), dafür zahlreiche Texte, die meistens die Erfindungen des
„Tagesspiegel“ übernahmen. Besonders rustikal betätigte sich ein Autor namens Andreas
Hartmann, der in der „taz“ (https://taz.de/Kinotipps-der-Woche/!5763462/) unter dem
Titel „Werk, Autor, Sumpf“ feststellte, ich sei „richtig abgetaucht in den Sumpf“ und werde
„aus diesem so schnell wahrscheinlich auch nicht mehr herauskommen“. Ich habe bei der
Chefredaktion der „taz“ angefragt, ob man derartige Hetzartikel nach zwei Jahren
Drüberschlafen immer noch gut findet, aber bisher wurde nicht geantwortet.
Die meisten anderen Medienbeiträge ignorierte ich, nur als im Radio-Eins-Podcast
(https://www.youtube.com/watch?v=3KHuB3B3KqE&t=963s) von Serdar Somuncu und Florian
Schroeder behauptet wurde, ich sei „längst in einem Milieu unterwegs, das nicht nur am
Rand des Querdenkertums oder am Rand des Verschwörungsmystikers steht, sondern
mittendrin“, schrieb ich einen Brief samt Gesprächsangebot. Serdar Somuncu schrieb
zurück und lud mich in seine Sendung „Die Blaue Stunde“ ein. Das telefonische
Vorgespräch war offen und fair. Eine Stunde vor der Aufzeichnung rief mich dann Florian
Schroeder mit unterdrückter Nummer an und erläuterte mir in einem zwanzigminütigen
Monolog mit schneidender Stimme, dass Kritik an den Corona-Maßnahmen ganz
automatisch Verschwörungstheorie sei.
Die Sendung verlief dann wiederum anders als das Vorgespräch, geriet nämlich zu einer
Art Verhör mit ständigem Unterbrechen und inquisitorischer Fragerei.
„Verirrte Katastrophenpolitik“
Knapp zwei Jahre später hatte Serdar Somuncu dann seine Meinung geändert und
bezeichnete die Maßnahmen der Regierung (https://www.rundschau-online.de/kultur/
serdar-somuncu-wiederholt-kritik-an-corona-massnahmen-200534) als „verirrte
Katastrophenpolitik“. Daraufhin schrieb ich ihm, ob wir unsere Sendung vom Frühjahr
2021 vielleicht nochmal aufrollen sollten. Er antwortete mir, er habe mir Fragen gestellt,
ich hätte sie beantwortet und er sehe keinen weiteren Gesprächsbedarf. Ich schrieb
außerdem der Wortredaktion von Radio Eins, wie man es findet, wenn Andersdenkende
auf einem öffentlich-rechtlichen Sender, der ja vielleicht für Ausgewogenheit und
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Meinungsvielfalt stehen sollte, derart behandelt werden, aber es kam keine Antwort.
Mein Roman erschien dann im August 2023 bei einem kleinen Frankfurter Verlag, und die
Veröffentlichung war in ihrer Ereignislosigkeit zutiefst beeindruckend. Eine bestens im
Feuilleton vernetzte PR-Agentin fand das Buch zwar umwerfend und ging auf große
Werbetour, aber das brachte rein gar nichts. Ein befreundeter Journalist hätte es gern für
die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ rezensiert, durfte aber laut eigener Aussage
nicht, und bei meinem Verlag bekam ich eine SMS zu sehen, in der jemand schrieb: „Bei
der Vogue wie überall: N.’s Chef (Name geändert und abgekürzt, Anm. d. Red.) will nicht,
dass sie Brüggemann macht. Seine Tweets seien ‚gefährdend‘“.
Lorenz Maroldt, Chefredakteur des „Tagesspiegels“, war mit der Berichterstattung zu
#allesdichtmachen nicht glücklich. Das führte zu einem Gastbeitrag (https://
www.tagesspiegel.de/kultur/dietrich-bru ... ie-aktion-
allesdichtmachen-4255735.html), in dem ich meine Sicht der Dinge darlegen durfte. Dieser
erschien online, wanderte auf der Website aber schnell nach hinten. Wir blieben in losem
Kontakt, und als wir uns im Frühjahr 2022 mal wieder trafen, kam das Gespräch auf Harald
Martensteins Abgang als Kolumnist (/kultur/medien/plus237046703/Harald-Martenstein-
Es-waechst-eine-neue-totalitaere-Ideologie-heran.html), und ich sagte: Wie wär’s, wenn
ich für euch eine Kolumne schreibe? Klar, erwiderte Maroldt, machen wir. Ich fragte, ob er
das einfach so entscheiden könne, er sagte ja, also freute ich mich, und wir besiegelten den
Beschluss mit Handschlag vor Zeugen. Als ich aber zwei Wochen später darauf
zurückkommen wollte, flüchtete er sich in zahlreiche Bedenken und wollte nicht mehr an
seine Zusage erinnert werden. Was die Gründe waren, ist mir unklar, ich vermutete
redaktionsinternen Protest, aber immerhin durfte ich so in Erfahrung bringen, wieviel der
Handschlag von Lorenz Maroldt wert ist.
Es ist aber nicht so, dass es nur Gegenwind gegeben hätte. Im Sommer 2021 rief mich ein
Drehbuchdozent der Babelsberger Filmuniversität an und sagte, es sei eine halbe Professur
ausgeschrieben, ich solle mich bewerben, man bräuchte mehr eigenwillige Leute. Also
schrieb ich eine Bewerbung. Zwei Tage vor der öffentlichen Anhörung im Mai 2022 bekam
ich eine anonyme Mail, in der ich gewarnt wurde, unter den Studierenden kursiere ein
offener Brief gegen mich. Der Brief war angehängt, und darin stand, ich würde Corona
„verharmlosen“, „wissenschaftliche Erkenntnisse“ leugnen und mich „herablassend und
respektlos zur Gender-Debatte und zu feministischen Standpunkten“ äußern.
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Unterschrieben hatten einige hundert Hochschulangehörige, darunter alle drei
amtierenden Vizepräsidenten. Einer davon ist der Produzent Martin Hagemann, den ich
bisher sehr geschätzt hatte. Wenn man mir mit einem offenen Brief gegen Martin
Hagemann gekommen wäre, dann hätte ich zum Telefon gegriffen und ihn angerufen. Ich
habe ihm geschrieben und gefragt, wie er mittlerweile dazu steht, aber bisher kam keine
Antwort.
Die Anhörung selbst verlief harmlos und friedfertig, dann wurde das Berufungsverfahren
zwei Jahre lang verschleppt und schließlich Anfang Mai 2024 wegen Überschreitung der
Höchstdauer abgebrochen. Auf Anfrage teilte die Filmuniversität mir mit, ich sei im Votum
der Berufungskommission auf Platz 1 der Liste gewesen, die Abbruchentscheidung habe
aber nichts mit mir oder meinem gesellschaftspolitischen Engagement zu tun. Zudem
drohte man mir, man werde, falls ich in den Medien einen solchen Zusammenhang
nahelegen sollte, „gegen eine etwaige Falschaussage vorgehen“. Auf meine Anfrage, warum
das Verfahren denn eigentlich so lang gedauert hat, kam keine Antwort.
Die fehlende Medienresonanz zu „Materialermüdung“ betrübte mich natürlich, also
schickte ich ein Exemplar an die Radio-Eins-Moderatorin Bettina Rust, die mir seit Jahren
freundlich zugetan war. Sie las es und mochte es sehr. Auf die Frage, ob wir mal eine
Sendung machen, antwortete sie aber ausweichend und teilte mir schließlich mit, die
Programmchefin Dorothee Hackenberg wünsche nicht, dass ich eingeladen werde. Und
das war der Moment, in dem ich dann doch ungehalten wurde. Man darf also beim RBB
nur dann in Erscheinung treten, wenn man keine politischen Meinungen geäußert hat, die
der Chefin nicht passen? Ich habe Frau Hackenberg und auch die Intendanz um
Stellungnahme gebeten und warte seitdem gespannt auf Antwort, denn als öffentlich-
rechtlicher Sender verstößt der RBB hier eklatant gegen seinen Auftrag, aber anscheinend
ist man hier mit einem PR-Desaster (/debatte/kommentare/article240920971/Entlassene-
RBB-Intendantin-Das-System-Schlesinger-ist-ueberall.html) nicht zufrieden, sondern will
möglichst viele weitere.
Das Schweigen danach
Und dann wäre da noch der allerneueste Eintrag in der Liste: Ich hatte unter Pseudonym
ein kleines Buch bei einem Kinderbuch-Literaturagenten eingereicht. Er fand es toll, bot
mir Vertretung an und schickte einen Vertrag. Als ich daraufhin bekannt gab, wer ich
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wirklich bin (ich hielt das auch nach drei Jahren für unproblematisch) war er ganz entsetzt
und wollte nichts mehr davon wissen.
Es gab allerhand kleinere Vorfälle, die aufzuzählen hier den Rahmen sprengen würde. Aber
es finden sich wiederkehrende Motive: Man hat es sich nicht leicht gemacht, man hat viel
nachgedacht, man hat auch nie allein entschieden, sondern in Abstimmung mit
irgendeinem Kollektiv, und man hat nie das Naheliegendste hingekriegt, nämlich zum
Telefon zu greifen und mit mir zu reden. Dabei ist „miteinander reden“ doch eigentlich
eine Tugend, die in ähnlich hohem Ruf steht wie „mutig sein“.
Die vorläufige Bilanz des Mutigseins lautet also: Spar dir den Ärger. Auf einem Gebiet
sehen die Dinge jedoch anders aus, und zwar in meinem Hauptberuf als Filmemacher. Die
öffentlich-rechtlichen Spielfilmredaktionen, mit denen ich zu tun habe, sind nämlich
offenbar die einzigen Stellen im Land, bei denen man nicht gleich rausgeworfen wird,
wenn man die Regierung kritisiert. Ich drehe einen „Tatort“ mit Ulrich Tukur und
entwickle einen weiteren für das Stuttgarter Team. Es ist also am Ende erfreulich, dass
man bei einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung seine Stimme erheben und dann trotz
großer Hysterie weiterhin kulturschaffender Teil der Gesellschaft sein kann.
Für diejenigen, die den Ausgrenzungs- und Steinigungsreflexen nachgegeben haben, ist es
gleichwohl peinlich, aber diese Peinlichkeit ist ein Anzeichen dafür, dass etwas schiefläuft,
und deswegen nenne ich hier auch bewusst Namen. Bezeichnend finde ich außerdem das
Schweigen, das auf all meine Anfragen folgte. Wenn man damals so intensiv nachgedacht
hat, dann sollte man doch zumindest bestätigen können, dass man die getroffene
Entscheidung weiterhin richtig findet. Doch dazu scheint niemand in der Lage zu sein.
Was hindert einen dann andererseits, zuzugeben: Es war vielleicht falsch?
Ich würde gern schließen, dass wir „als Gesellschaft“ wieder zu einer besseren
„Debattenkultur“ finden sollten, aber solche Appelle erscheinen mir angesichts der hier
versammelten Erlebnisse illusorisch. Die Zeit wird Corona irgendwann ins rechte Licht
rücken, aber bei der nächsten Gelegenheit wird dieselbe Choreographie mit anderen
Akteuren wieder genauso ablaufen. Meine Aufgabe sehe ich daher nicht in folgenlosen
Appellen, sondern im Erzählen, denn am Ende geben all diese Ereignisse dankbare Stoffe
für Filme und Romane her. Mir schwante schon im April 2021, dass ich mein Leben
irgendwann in den Teil vor und den nach #allesdichtmachen unterteilen würde, und in
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dieser Hinsicht freue ich mich auf den zweiten Teil und all die Filme und Bücher, die man
über diese Zeit machen kann.
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Nichts ist so, wie es scheint.