Kapitalismus, Rechtsextremismus und soziale Bindungen

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Demon89
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Kapitalismus, Rechtsextremismus und soziale Bindungen

Beitrag von Demon89 »

So, ich will mal diesen Artikel zur Diskussion stellen:
https://www.fr.de/kultur/oskar-negt-hum ... IiyNpRV45g


Was meint ihr, hat negt Recht?
Und wenn ja, wie sehr sind die sozialen Bindungen bereits beschädigt, welche Folgen ergeben sich noch daraus und wie lassen sie sich wieder herstellen?
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Grauer Wolf
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Re: Kapitalismus, Rechtsextremismus und soziale Bindungen

Beitrag von Grauer Wolf »

Ich habe es leider nicht geschafft, den verlinkten Text zu Ende zu lesen. Meiner Meinung nach kommen weder der Fragesteller noch Negt innert nützlicher Frist und Anzahl Wörter auf den Punkt. Hier also meine Meinung zum Thema unabhängig von dem, was Negt vielleicht in der zweiten Hälfte des Interviews noch gesagt hat.

Kapitalismus an und für sich ist nicht schlecht. Was schlecht ist, ist Kapitalismus ohne soziales Gewissen -- also genau jener Turbo-Kapitalismus, der in den späten 80er und frühen 90er Jahren von den damals Yuppie (Young Urban Professionals) geschimpften Investmentbankern installiert wurde, und in dem alles geplündert wird, was geplündert werden kann. Firmen werden auf Pump aufgekauft, redundantes Personal als überflüssiger Unkostenfaktor betrachtet, entlassen und somit den Sozialsystemen aufgebürdet. Forschung und Entwicklung werden auf das absolut notwendige Minimum reduziert, die Produktion nach China ausgelagert. Alles wird dem Ziel unterworfen, die kurzfristige Rendite zu erhöhen und die hierdurch generierten Boni und Dividendenausschüttungen abzuschöpfen.

Und die Politik hat diesen Leuten von Anfang an zugejubelt.

Und hierbei völlig ausgeblendet, daß die große Mehrheit der Gesellschaft solches Verhalten eigentlich als asozial betrachtet. Leider läuft dieses Spiel nun seit mehr als 30 Jahren -- und eine ganze Generation hat gelernt, daß sie nur dann eine Chance hat, persönlich weiter zu kommen, wenn sie bei diesem Spiel mitspielt und sich ebenfalls asozial verhält.

Das Ganze läßt sich in der sogenannten Spieltheorie wunderbar modellieren und begründen: So lange sich alle Spieler eines Spiels an die Spielregeln halten, hat niemand einen Vorteil. Es profitieren alle gleichmäßig. Derjenige, der sich als erster nicht mehr an die Spielregeln hält, hat kurzfristig einen Vorteil gegenüber den restlichen Spielern, die sich weiter an die Regeln halten. Alle Spieler sehen nun, daß es von persönlichem Vorteil ist, sich nicht an die Regeln zu halten, und von Nachteil, sich weiter an die Regeln zu halten. Also hält sich bald niemand mehr an die Regeln. Irgendwann ist das Spiel allerdings so kaputt, daß die Summe der individuellen Profite der Spieler kleiner ist, als der vorige gemeinschaftliche Profit -- nur daß die einzelnen Profite nun ungleichmäßiger verteilt sind als vorher. Wer zuerst geschummelt hat, hat meist einen Vorsprung auf den Rest aufbauen können. Das Spiel ist allerdings nicht mehr zu retten. Um es zu retten, müßten sich alle Spieler nämlich wieder gleichzeitig an die Regeln halten. Da jeder Spieler jedoch weiß, daß der sofort einen Vorteil haben wird, wenn er der Einzige ist, der sich nicht an die Regeln hält, vertraut niemand niemandem mehr. Niemand ist mehr bereit, sich freiwillig wieder an die Regeln zu halten, weil der von der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit existierenden Schummlern sofort ausgenommen würde.


In so einem Umfeld, in dem jeder nur noch an sich und seinen eigenen Vorteil denkt, geht der gesellschaftliche Zusammenhalt über die Jahre verloren. Der fehlende Zusammenhalt macht dann das »Spiel der Gesellschaft« kaputt, so daß letztendlich kaum noch jemand profitiert. Da wieder heraus zu kommen, ist ohne weiteres jedoch nicht möglich. In früheren Jahrhunderten, war das dann der Moment, in dem Krieg ausbrach und alles kaputt gemacht hat, so daß anschließend wieder ein neues Spiel mit neuen Spielern und neuen Regeln beginnen konnte.
Man soll Leuten nicht Boshaftigkeit unterstellen,
wenn man ihr Verhalten genau so gut durch Dummheit erklären kann.
(Hanlon's Razor)

:anger: :zap: :bomb: :boom: :fire: :rocket:
Soiled

Re: Kapitalismus, Rechtsextremismus und soziale Bindungen

Beitrag von Soiled »

Demon89 hat geschrieben: Mittwoch 7. August 2019, 09:18 Was meint ihr, hat negt Recht?
Es ist was dran. Aber so ganz 100% stimme ich nicht mit ihm überein. Und auch nicht mit Deiner Fragestellung - von sozialen Bindungen sagt der Herr ja keinen Ton, es fält sogar eindeutig die Bezeichnung "Objektfixierung". Klar, auch Menschen sind Objekte, aber trotzdem. Und wer weiß, vielleicht ist das wieder so ein abgedrehtes Philosophen-Sprech, wo die Verständlichkeit der Präzision geopfert wird. ;)

Und ich würde es auch nicht ausschließlich auf den Rechtsextremismus beziehen, wobei der natürlich wichtig ist. Ein Paradebeispiel ist ja die Biografie von HC Strache. Kann man sich mal durchlesen, da spielt echt viel die Suche nach Anerkennung mit rein. Ich mein, wenn der eigene Vater sich von einem lossagt und sogar seinen Namen ändert, um bloß nicht mit dem Sohn in Verbindung gebracht zu werden, ist das zwar verständlich, aber auch arschig ...

Also. Ich glaub, dass man durch so etwas durchaus in Gruppen reingetrieben bzw. von ihnen angezogen wird. Können ja auch andere sein. Radikale religiöse Gruppen zum Beispiel. Oder Linke. Oder Schwarzvolk. ;) Ich glaub man nimmt am ehesten das, was einem leicht zur Verfügung steht, so lang man willkommen ist und Wertschätzung genießt.
Und, Gott sei's geklagt, gibt es halt existierende Strukturen, die die eine oder andere Gruppe leichter zugänglich machen als andere. Ich sag nur Burschenschaften - ganz großes Ding hier.
Und wenn ja, wie sehr sind die sozialen Bindungen bereits beschädigt, welche Folgen ergeben sich noch daraus und wie lassen sie sich wieder herstellen?
Wie gesagt - ich würde mehr Optionen anbieten und den Zugang erleichtern. Meinetwegen auch Pfadfinder oder sonstwas. Freiwillige Feuerwehr. Die Open-Source-Szene find ich auch nicht so schlecht. Irgendwas, wo man etwas hilfreiches und produktives macht, nichts destruktives. Positives Feedback gibt's dann nämlich nicht nur innerhalb der Gruppe, sondern auch von außen.
Charlotte Sometimes
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Re: Kapitalismus, Rechtsextremismus und soziale Bindungen

Beitrag von Charlotte Sometimes »

@Demon89

Ich finde den Artikel recht philosophisch. ;)
Ich denke durch ein wenig "Um- die- Ecke -Denken" könnte man zu einem ähnlichen Schluss kommen.
Ich sehe das Problem im übermäßigen,dekadenten Konsum (Extremform vom Materialismus).
Wenn materielle Dinge ,Beziehungen (Bindungen,Werte) ersetzen.
Ich sehe es z.B ganz deutlich in unserer heutigen Jugend,was mir mein Sohn (fast 16) manchmal so von seinen Kollegen/innen erzählt, da kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln...fast bis zum "Schleudertrauma".
Es geht nur noch ums Äußere (der Körper ist auch Materie) und Materielles ,Werte? Was sind Werte?
Die gibt es nicht zu kaufen...Menschen werden behandelt wie Gegenstände, konsumiert und weggeworfen.
Es wird sich selbst zum Konsumgut gemacht...
Kleine Kiddies nehmen sich vor Drogendealer zu werden *und noch schlimmeres* (um materiellen Wohlstand) zu erlangen.
Ich sehe die Gefahr nicht nur im politischen,ich sehe sie überhaupt.Mangelnde Bildung zementiert das Ganze auch noch.
Diese ganze Abscheulichkeit,Menschen werden nur auf das Äußere und was sie besitzen reduziert.
Leere Hüllen ,wo nix drin steckt...nur dem Geld wird hinterher gegeifert um die selbe Leere auszufüllen ,um sich selbst mit materiellen Dingen aufzuzwerten...aber im Grunde eine logische Bedingung.^^