Notre Dame und die Vergänglichkeit

Meldungen aus aller Welt, Meinungen zu allen irdischen Dingen wie Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Alltag und Tagesgeschehen
Grauer Wolf
Bestätigtes Mitglied
Beiträge: 1629
Registriert: Donnerstag 24. Mai 2018, 00:22
Wohnort: Schönau-Altneudorf
Gender:
Alter: 57

Notre Dame und die Vergänglichkeit

Beitrag von Grauer Wolf »

Bei Unserer Lieben Frau von Paris war im wahrsten Sinne des Wortes Feuer unter dem Dach -- und offenbar derart heftig, daß von ihrem »Wald« genannten Dachstuhl außer Schutt und Asche nicht viel übrig geblieben ist. Eine katastrophaler Verlust historischer Bausubstanz, der so einfach wohl nicht zu ersetzen sein wird. Insbesondere stellt sich wohl die Frage, ob der aus mehr als 1300 Eichen bestehende Wald des Dachstuhls wieder aus Holz oder dann wohl doch eher wie beim Kölner Dom aus Stahlträgern rekonstruiert wird.

Stellt sich mir natürlich sofort die Frage nach der Vergänglichkeit. Wenn alte Dinge vergehen, entsteht immer auch Platz für Neues. Insofern finde ich es schade, wenn Altes verschwindet. Aber ich freue mich auch, wenn Neues entsteht. Nur habe ich das bange Gefühl, mit dieser Ansicht weit und breit alleine zu stehen. Die allermeisten Leute scheinen mir ihren sehnsuchtsvollen Blick nicht mehr auf eine bessere Zukunft gerichtet zu haben, sondern auf eine verklärte Vergangenheit.

Dementsprechend ist es für die allermeisten Leute eine Katastrophe, wenn Altes vergeht. Dementsprechend müssen diese Katastrophen auch so schnell und so weit wie möglich wieder rückgängig gemacht werden. Der alte Zustand muß wieder hergestellt werden. Kein Platz für Neues.

Wie seht Ihr das mit der Vergänglichkeit des Althergebrachten?
Man soll Leuten nicht Boshaftigkeit unterstellen,
wenn man ihr Verhalten genau so gut durch Dummheit erklären kann.
(Hanlon's Razor)

:anger: :zap: :bomb: :boom: :fire: :rocket:
Selene
Bestätigtes Mitglied
Beiträge: 302
Registriert: Montag 13. August 2018, 21:17
Gender:
Alter: 51

Re: Notre Dame und die Vergänglichkeit

Beitrag von Selene »

Ich bin sehr offen für Neues, und denke auch, dass das Vergehen von alten Dingen eine Chance ist, etwas anders- bzw. weiterzuentwickeln. Nicht zwangsläufig muss etwas „genau so und nicht anders“ wiederhergestellt werden. Ich würde beispielsweise unser Haus im Brandfall nicht identisch wieder aufbauen (bin aber nicht scharf drauf, das auszuprobieren ;) ). Im Alltag bin ich sehr pragmatisch mit alten Dingen. Ausgewähltes bleibt, aber ich trenne mich auch leicht davon.
Aber der Brand von Notre Dame gestern hat mich echt traurig gemacht. Katastrophe! :( Ich liebe die gotischen Bauwerke und hätte heulen können, als ich das gesehen habe. Ich wünschte, das wäre nie passiert. Notre Dame gehört für mich zu den Dingen, die so bleiben sollen (von Stahl-/Holz-Konstruktionen und ähnlichen Dingen mal abgesehen, da muss man jetzt schauen, was sinnvoll ist). Sie ist einfach ein Kulturgut. Da tue ich mich mit so drastischen Veränderungen schwerer als bei anderen Dingen. Solche Bauwerke möchte ich schützen und nicht um jeden Preis irgendeinen heute modernen Touch reinbringen. In unserem Dom gibt es seit der Sanierung zum Beispiel sehr viel Beton (Altar u.ä.). Kann man machen, ist aber wie alles Geschmacksache. Viele Leute hier waren empört, während andere es als eine Weiterentwicklung und Zeichen unserer Zeit sahen.
“You can cry all you want
But it won't change the fact
If you want to survive
You will have to react“

„The Choice“ Eisfabrik
Soiled

Re: Notre Dame und die Vergänglichkeit

Beitrag von Soiled »

Ich war überrascht, wie wenig mich der Brand emotional berührt hat. Der Vierungsturm war doch eh noch ziemlich neu, also, Mitte 19. Jh. oder so, sowas find ich nicht besonders dramatisch. Neo-Gotik ist einfach nicht so mein Ding.

Ansonsten bin ich natürlich ein großer Fan von Vergänglichkeit. Müssen jetzt nicht grade Kirschblüten sein, aber prinzipiell mag ich schöne Sachen schon lieber, wenn ich weiß, dass sie nicht ewig andauern werden. Irgendwie erlebt man sie dann intensiver, finde ich. Bei Gebäuden und Kunst wird es schwieriger. Das sind halt wichtige Zeugen der Vergangenheit, eine neue Kopie bringt's für mich da einfach nicht so. Dann lieber was komplett neues. Grade alte Kirchen sind ja eh Stückwerk, wo immer mal wieder was anderes drangepappt wurde, je nach Mode. Gerade deswegen erzählen sie ja Geschichten. Und wenn mal ein neuer Teil dazugefügt wird wird die Geschichte einfach weitererzählt. :)
Dactus
Bestätigtes Mitglied
Beiträge: 261
Registriert: Donnerstag 24. Mai 2018, 00:35
Wohnort: Schaumburg
Gender:
Alter: 53

Re: Notre Dame und die Vergänglichkeit

Beitrag von Dactus »

Mich hat das Feuer tatsächlich auch kalt gelassen. Solche Unglücke passieren halt. Es ist keiner zu Schaden gekommen, und der IS hat wohl auch nichts damit zu tun...

Der Wiederaufbau scheint auch sicher, egal ob mit Holz oder Stahl. Ich finde man darf, nein, man sollte nach dem Wiederaufbau sehen können, dass der originale Zustand nicht erhalten ist. Das kann auch durch andere Materialien passieren - schliesslich ist das Feuer nun ein Teil der Geschichte dieses Bauwerks.

Wütend hat mich dagegen die Tatsache gemacht, dass gleich 2 Milliardäre 3stellige Millionenbeträge für den Wiederaufbau zugesagt haben. Für soziale oder humanitäre Projekte ist es deutlich schwieriger Geld zu sammeln..
I try to laugh about it - Cover it all up with lies - (..) - Hiding the tears in my eyes (The Cure)

Have courage and be kind!
Phönix75
Bestätigtes Mitglied
Beiträge: 1558
Registriert: Samstag 26. Mai 2018, 09:18
Wohnort: Berlin
Beziehungsstatus: Single
Gender:
Alter: 48

Re: Notre Dame und die Vergänglichkeit

Beitrag von Phönix75 »

Dactus hat geschrieben: Dienstag 16. April 2019, 21:08

Wütend hat mich dagegen die Tatsache gemacht, dass gleich 2 Milliardäre 3stellige Millionenbeträge für den Wiederaufbau zugesagt haben. Für soziale oder humanitäre Projekte ist es deutlich schwieriger Geld zu sammeln..


Da stimme ich dir uneingeschränkt zu.
Nichts ist so, wie es scheint.
blacksister´s ghost

Re: Notre Dame und die Vergänglichkeit

Beitrag von blacksister´s ghost »

.
Zuletzt geändert von blacksister´s ghost am Freitag 9. August 2019, 19:45, insgesamt 1-mal geändert.
Blackshiro
Bestätigtes Mitglied
Beiträge: 171
Registriert: Sonntag 27. Mai 2018, 10:23
Wohnort: Hamburg
Beziehungsstatus: In fester Beziehung
Gender:
Alter: 29

Re: Notre Dame und die Vergänglichkeit

Beitrag von Blackshiro »

Ich hab mal versucht, wie ein Franzose zu denken und etwas zu finden, was den Deutschen ähnlich wichtig ist, wie den Franzosen und den Parisern insbesondere, die Kirche.
Und mir ist, ehrlich gesagt, nix eingefallen. Ja, wir haben den Kölner Dom oder das Brandenburger Tor, vielleicht sogar Schloss Sanssouci, aber nichts davon finde ich so wichtig, dass die Zerstörung mich emotional wirklich berühren würde. Selbst wenn ich da an die große Kirche in meiner Heimatstadt denke... ja, klar, die gehört für mich einfach zum Stadtbild und es wäre schon irgendwie seltsam, wenn sie weg wäre, aber ich sähe keinen Grund, Geld für einen Wideraufbau zu spenden.

Nun haben die Franzosen ja im Allgemeinen einen recht großen Nationalstolz und ja, Notre Dame ist einfach sehr geschichtsträchtig. Ähnlich könnten die Englänger vielleicht bei St. Pauls oder Westmindest Abbey reagieren. Könnte ich mir jedenfalls vorstellen. Da hängt enorm viel Geschichte und damit Emotion dran. Das haben wir hier in Deutschland, aus meiner Sicht, nicht so richtig.
Ich kann den Wunsch, die Kirche wieder aufzubauen, also schon ein bisschen nachvollziehen. Und ich kann verstehen, warum es Menschen im Herzen wehtut, wenn etwas so vertrautes und schönes (aus reich architektonischer Sicht) zerstört wird.

Traurig finde ich aber auch, dass da so viel Geld in so kurzer zeit von Privatpersonen kommt - das sind gewiss nicht alles Menschen, die insgesamt großes Interesse an alten Bauwerken haben.
Auf der anderen Seite muss man, finde ich, schon beachten, dass die Hilfs- und Spendenbereitschaft der Menschen bei großen humanitären Kathastrophen (aktuell beispielsweise das Erdbeben in Nepal oder auch der Tsunami in Japan vor ein paar Jahren) ziemlich hoch ist. Ob also die Bereitschaft für Notre Dame tatsächlich höher ist, müsste man sich mal en detail anschauen. So ad hoc hab ich da keine belastbaren Zahlen gefunden, vielleicht hat ja jemand zufällig eine Quelle am Mann.

Was ich tatsächlich heuchlerisch finde, ist, dass ausgerechnet der Vatikan, der wie ein Drache auf seinen viel zu großen Goldhaufen trohnt, kein Geld spenden will. Rein rechtlich ist es wohl so, dass die Kirche nicht der Kirche gehört (höhö), sondern dem französischen Staat. Aber ich finde, dass grade der Vatikan hier definitiv in der Pflicht wäre - Kohle genug hätten die ja.
(2016 wurden 100 Millionen € für Hungernde gespendet. Und das waren grade mal 1%! des Barvermögens. Nicht ganz objektiver, dennoch interessanter Artikel dazu hier.)
We are far from perfect - but perfect as we are
Dactus
Bestätigtes Mitglied
Beiträge: 261
Registriert: Donnerstag 24. Mai 2018, 00:35
Wohnort: Schaumburg
Gender:
Alter: 53

Re: Notre Dame und die Vergänglichkeit

Beitrag von Dactus »

Blackshiro hat geschrieben: Mittwoch 17. April 2019, 09:06

Ob also die Bereitschaft für Notre Dame tatsächlich höher ist, müsste man sich mal en detail anschauen. So ad hoc hab ich da keine belastbaren Zahlen gefunden, vielleicht hat ja jemand zufällig eine Quelle am Mann.
Meine Kritik richtet sich in erster Linie an die Superreichen. Mir ist bewusst, dass gerade das Bildungsbürgertum eine hohe Spendenbereitschaft zeigt. Allerdings haben hier 5 Familien 500.000.000 € zugesagt, soviel wie alle anderen französischen Spender zusammen. Wäre je soviel an andere Stelle, in so kurzer Zeit gespendet worden, hätten wir es, meine ich, mitbekommen.
I try to laugh about it - Cover it all up with lies - (..) - Hiding the tears in my eyes (The Cure)

Have courage and be kind!
Blackshiro
Bestätigtes Mitglied
Beiträge: 171
Registriert: Sonntag 27. Mai 2018, 10:23
Wohnort: Hamburg
Beziehungsstatus: In fester Beziehung
Gender:
Alter: 29

Re: Notre Dame und die Vergänglichkeit

Beitrag von Blackshiro »

Dactus hat geschrieben: Mittwoch 17. April 2019, 18:00
Meine Kritik richtet sich in erster Linie an die Superreichen. Mir ist bewusst, dass gerade das Bildungsbürgertum eine hohe Spendenbereitschaft zeigt. Allerdings haben hier 5 Familien 500.000.000 € zugesagt, soviel wie alle anderen französischen Spender zusammen. Wäre je soviel an andere Stelle, in so kurzer Zeit gespendet worden, hätten wir es, meine ich, mitbekommen.
Ich kann mich erinnern, dass damals für Haiti auch in sehr kurzer zeit sehr viel gespendet wurde - auch hohe Summen von wohlhabenden Privatpersonen. Wie gesagt, belastbare Zahlen hab ich nicht zur Hand.

Ich wär bei solchen Wertungen auch immer vorsichtig. Man weiß ja gar nicht, ob diese Personen nicht ohnehin regelmäßig in wohltätige Projekte investieren. Viele haben ja auch eigene Stiftungen. Ich kenn die beiden Familien jetzt nicht und ich sagte ja auch, dass ich selbst das nicht uuunbedingt nachvollziehen kann, v.a. aus deutscher Sicht, aber ich kann mir schon gut vorstellen, dass Notre Dame für viele Franzosen einfach einen hohen emotionalen Wert hat, schon allein durch die Geschichte, die das Bauwerk hat. Und wenn die das Geld haben und es dafür einsetzen wollen, dann sollen sie halt machen - wehtun wird das diesen Leuten auf dem Konto sicherlich so oder so nicht.

Insofern: Ich kann die Kritik verstehen, aber ich halte sie für etwas einseitig. Außerdem kann ja wirklich jeder Mensch selbst entscheiden, wofür er spendet - ich zB betätige mich auch nicht an Spenden für Menschen. Ich investiere halt in den Tierschutz. Ist mir ganz persönlich einfach wichtiger.
We are far from perfect - but perfect as we are
Bloody Arthur

Re: Notre Dame und die Vergänglichkeit

Beitrag von Bloody Arthur »

Hm... Mich macht sowas schon missmutig irgendwie... generell finde ich es schade wenn Zeugnisse vergangener Tage verschwinden. Ich war z.B. auch traurig darüber das in Chemnitz und Umgebung, in den letzten Jahren sehr viele der alten Fabrik-Ruinen abgerissen wurden, die dort standen... Aber so ist der lauf der Dinge....

Generell liebe ich es Vergänglichkeit zu beobachten, Verfall zum Beispiel löst bei mir oft ein angenehmes Gefühl aus... Wenn etwas allerdings komplett verschwindet, von einem Tag auf den anderen, finde ich das meistens Scheiße... Ich denke da zum Beispiel an Dörfer oder Landschaften die für den Kohle abbau eingerissen wurden/werden. Das ist für mich eine absolute Horror-Vorstellung...

Dementsprechend finde ich es gut das die Kirche wieder aufgebaut werden soll... und das Argument das man ihn nicht genau so aufbauen sollte wie er war, sondern das die Renovierung deutlich sichtbar sein sollte finde ich sehr gut... Meiner Meinung nach wäre es respektvoll der Geschichte gegenüber und würde dem Gebäude eine weitere interessante Fassette verleihen... (wenn das gut umgesetzt werden würde)

Sicherlich kann man sich darüber streiten ob es nicht wichtigere Dinge gibt als ein Wahrzeichen einer überholten Religion wieder auf zu bauen... aber ich denke es ist teil der Geschichte, der Kultur und der Identität Frankreichs... bzw. ganz Europas.... ich finde das schon wichtig...
Antworten