Darf man über Musikgeschmack diskutieren?

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Soiled

Darf man über Musikgeschmack diskutieren?

Beitrag von Soiled »

Ich beziehe mich mal auf einen Satz aus einem anderen Thread:
Mio hat geschrieben: Dienstag 23. Juli 2019, 23:45 Wie sagte mal ein Freund zum Thema? Über Musik sollte man nicht streiten. Ist zu individuell.
Natürlich ist Geschmack individuell, insofern als dass wir alle Individuen sind. Aaaaaber: Geschmack ist sozial determiniert. Das ist nix, was "angeboren" ist, vielmehr hat es mit Gruppenzugehörigkeiten zu tun. Entweder zu der Gruppe, in der man eh drin ist, oder aber zu der Gruppe, wo man dazugehören will. Ich empfehle vorher dringend die Lektüre von "Die feinen Unterschiede" von Pierre Bourdieu; sein Werk ist inzwischen zwar etwas überholt (die saubere soziale Stratifizierung, von der er ausgeht, existiert als solche nicht mehr), aber es sind trotzdem wichtige Grundlagen. Und, ja, ich gehe davon aus, dass es Leute anpissen wird. Wenn ich aus dem Wikipedia-Artikel zitieren darf: "In der Rezeption wird dieses Werk häufig gesehen als eine narzisstische Kränkung für Leser, die an „angeborenen“ oder „individuellen“ Geschmack glaubten (...)" ;)

Weiter: (Musik)Geschmack wird also durch das Umfeld festgelegt, das ist empirisch belegt. Genauso wie ein sehr, sehr großer Teil der Persönlichkeit. Was jemand für Musik hört ist also eine recht deutliche Aussage über seinen Charakter und seine Werte, weil die die selbe Herkunft haben. Nicht immer eindeutig, klar, aber es gibt massive Korrelationen.
Wenn also jemand (unreflektiert und häufig!) Musik konsumiert, die von Personen gehört wird, die gewisse unangenehme Eigenschaften haben, gehe ich natürlich davon aus, dass besagte Person die gleichen Eigenschaften hat. Wenn jemand Skrewdriver hört ist er nicht zwingend ein Nazi, möglich, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr, sehr hoch. Wenn jemand Klassik und ähnliche komplexe Musik mag ist es nicht ungewöhnlich, wenn er gleichzeitig ein herablassender, arroganter Schnösel ist. *auf mich selber zeig :lol:* Wenn jemand nur eine einzige Musikrichtung hört ist er vermutlich engstirniger als jemand, der einen breiter gefächerten Geschmack hat. Wenn jemand generischen Mainstream-Krempel hört ... naja, das muss ich sicher gar nicht ausführen, da weiß doch eh jeder, was das bedeutet. ;)
Und so weiter.

Um die oben gestellte Frage zu beantworten: Darf man über Musikgeschmack diskutieren? Nein - man muss.
Weil es um viel, viel mehr geht als nur darum, was für Geräusche als angenehm empfunden werden.
Demon89
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Re: Darf man über Musikgeschmack diskutieren?

Beitrag von Demon89 »

Ich würde nun nicht sagen, dass der Geschmack einer Person zu 100% aus sozialer Determination herührt.
Würde jedoch durchaus zugeben, dass Geschmack sehr stark vom sozialen Umfeld und den bezügen zu diesen abhängt.

Kommen wir gleich zur Frage:
- Darf man über Musikgeschmack diskutieren?
Ja
- Muss man es?
Nein. Nicht immer ist eine Diskussion sinnvoll oder angebracht.
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blacksister´s ghost

Re: Darf man über Musikgeschmack diskutieren?

Beitrag von blacksister´s ghost »

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Zuletzt geändert von blacksister´s ghost am Samstag 10. August 2019, 18:50, insgesamt 1-mal geändert.
Demon89
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Re: Darf man über Musikgeschmack diskutieren?

Beitrag von Demon89 »

blacksister´s ghost hat geschrieben: Mittwoch 24. Juli 2019, 21:28 Was mich stört is das Wort "diskutieren".
Is denn jeder Austausch gleich eine Diskusion?
Nein, nicht jeder Austausch ist eine Diskussion.
Aber auch nicht jede Diskussion ist ein Streit.

Was Soiled hier aber wohl ansprechen möchte ist die Tatsache, dass mitunter ein Austausch von Musik (a la "Was hörst du den gerne?") nicht immer ausreicht, um sich ein Bild des jeweils anderen zu machen.
@Soiled : Du darfst mich hier gerne korrigieren, wenn ich dich falsch interpretiere.
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Scheuer Wolf
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Re: Darf man über Musikgeschmack diskutieren?

Beitrag von Scheuer Wolf »

Seh ich genauso. Man sollte darüber diskutieren oder sich austauschen. Das geht für mich allerdings in gewisser Weiser nur, wenn ich auch einen "Anker" zum Austausch habe.Ich gehöre zu den Leuten, die über das Thema Musik auch am ehesten auftauen, daher ist eine meiner Lieblingsenstiegsfragen bei Leuten, die ich noch nicht gut kenne, was sie für Musik hören. Dann kann ich für mich auf Grund von Beobachtungen und Erfahrungen mit solchen Leuten schon ein gewisses Bild zeichnen.

"Alles" - möchte sich nicht festlegen = will nicht anecken. Wenn auch nachfragen unklar bleiben = kein Fundament. Könnte schwierig werden.
ausschließlich oder überwiegend aktueller oder (Aggro-)Deutschrap: HipHop hieß früher stottern und war heilbar... wir werden keine guten Freunde
ausschließlich oder überwiegend Schlager: nach meinen Erfahrungen relativ einfach gestrickte Persönlichkeiten, mit denen man keine tiefergehenden Gespräche führen kann. Auf dem Level bleibts dann auch meistens: "Wolf, heute 30 Grad. Toll, oder?"
ausschließlich oder überwiegend Onkelz / Nazischeiße - Guck mal, schon wieder n Bus, mit dem ich schnell los muss (egal welcher).
(teilweise) Metal, NDH, Punk, Klassik, Musik aus der schwarzen Szene, Symphonic Metal, Mittelalter, Folk, 90er - gutes Fundament. Erste gute Wellenlänge.
"Nichts" - Ääääh, was? *Wolf schweigt* *Wo bleibt der Bus?*

Ja, diese Art von Kategorisierung mag oberflächlich wirken - sie beruht aber wie gesagt auf dem, was ich so erlebt habe. Da ich aber jemand bin, der grundsätzlich immer ein "Fundament" braucht, auf das ich das dann "aufbaue" - und da ist Musik als größte Leidenschaft von mir das "festeste" Fundament - wird es i.d.R. schwierig, wenn ich darüber mich nicht austauschen kann (und bei manchen auch nicht will). Wenn Musik dann kein Anker ist, an dem ich mich gesprächstechnich festhalten kann, bleibt dann meistens nur noch Internet, Twitch und Spiele - oder "zumindest" meine Hitzeunverträglichkeit bei Leuten, denen es ähnlich geht. Über Musik, die nicht konsumiere(n will) kann ich mich nur oberflächlich austauschen. Da entwickelt sich dann keine Sympatieebene, auf der man großartig aufbauen kann.
Soiled

Re: Darf man über Musikgeschmack diskutieren?

Beitrag von Soiled »

Demon89 hat geschrieben: Mittwoch 24. Juli 2019, 21:21 Ich würde nun nicht sagen, dass der Geschmack einer Person zu 100% aus sozialer Determination herührt.
Ich glaub das ist auch sehr schwer zu trennen. Man kriegt ja auch schon in früher Kindheit und selbst vorgeburtlich Geräusche und Töne mit, und das beeinflusst dann die Art und Weise, wie Synapsen miteinander verknüpft werden, zum Beispiel. Ist das "Natur"? Ist das "Kultur"? Schwer zu sagen.
Ich kann z.B. Dudelsäcke nicht ausstehen. Das sind halt Frequenzen, die mir körperliche Schmerzen zufügen - sehr ähnlich zu dem Gequäke von Kindern. Ist eindeutig eine körperliche Sache, das sieht man auf meinen Messungen beim Akustiker. Vermutlich hätte ich weniger ein Problem damit, wenn ich in einer lebhafteren Umgebung aufgewachsen wäre, wo man sich generell mehr angebrüllt hätte. :lol:
Ich kann mich auch an einen Artikel über Leute aus ... Eritrea, glaube ich, erinnern, die nach Schweden ausgewandert waren. Die haben die Stille nicht ertragen und sind zum Schlafen auf den Bahnhof gegangen. Die konnten nur abschalten, wenn viele Leute um sie drum waren und es nach unserem Ermessen "laut" war.
Und die Tatsache, dass viele Leute bevorzug gitarrenlastige Musik hören, hat imho eindeutig etwas damit zu tun, dass viel Krempel, der im Radio läuft, eben auf Gitarren basiert - das ist man halt gewohnt. Man könnte sich ja auch Xylophone geben, oder Fagotte, oder sonstwas.

Und selbst ganz grundlegende, schlichte Emotionen wie Ekel sind nicht genetisch festgelegt. Aber das würde jetzt wirklich weit am Thema vorbeigehen ...
Nicht immer ist eine Diskussion sinnvoll oder angebracht.
Damit hast Du natürlich recht. Aber ich bin ja ein gnadenloser Optimist und gehe davon aus, dass Menschen selbstkritisch sind. Ich versuche es ja auch zu sein, und, ja, mir ist durchaus klar, dass viele Sachen, die ich gern mag, durchaus problematisch sind. Mein geliebter Richard Strauss ist von den Nazis ja auf die sogenannte "Gottbegnadeten-Liste" gesetzt worden, und hat die Eröffnungsmusik für die Olympischen Spiele 1936 geschrieben - sowas darf ich nicht ignorieren. Aber weil ich - so wie jeder - ja ein bisschen betriebsblind bin brauch ich ab und zu andere Leute, die mich auf sowas hinweisen.
Demon89 hat geschrieben: Mittwoch 24. Juli 2019, 21:53 Was Soiled hier aber wohl ansprechen möchte ist die Tatsache, dass mitunter ein Austausch von Musik (a la "Was hörst du den gerne?") nicht immer ausreicht, um sich ein Bild des jeweils anderen zu machen.
Jein.
Einerseits ist Musikgeschmack natürlich ein guter Indikator. Also, es hilft, um sich halbwegs schnell ein Urteil über Leute zu bilden.
Andererseits wird es natürlich viel interessanter, wenn man drüber redet, warum einem etwas gefällt oder nicht gefällt. Notfalls muss man sein Urteil dann halt revidieren. ;)

Ich hab ja eine ziemlich deutliche Meinung zu Wagner: Langweiliges Gedüdel ohne Punkt und Komma, zu viel Pathos und Kitsch, widerwärtiger Antisemit obendrein. Kein Wunder, dass er in Israel verpönt ist. Paar Sachen sind halbwegs erträglich, aber nur ein paar.
Am Sonntag gehe ich aber zu einer Tanz-Performance: Jüdische Tänzer, die tatsächlich auf Wagner tanzen. Das schöne an Körpersprache ist ja, dass man da ganz andere Ebenen anspricht als durch pure Worte; ich bin wirklich gespannt, was ich da lernen werde.
Scheuer Wolf hat geschrieben: Donnerstag 25. Juli 2019, 06:31 "Nichts" - Ääääh, was? *Wolf schweigt* *Wo bleibt der Bus?*
Hmmmm.
Da frag ich mich natürlich, weswegen Musik so viel relevanter ist als andere Kunstformen. Wenn jemand keine Musik hört fände ich das ebenfalls seltsam, klar. Aber was ist mit Gemälden? Skulpturen? Theater? Ballett? Comics? Literatur? Das sind alles Sachen, die mir persönlich durchaus wichtig sind. Aber nur weil andere sich nicht so viel draus machen schreibe ich sie nicht automatisch ab. Und genauso fänd ich es komisch, wenn ich jedes Mal erklären müsste, weswegen ich so wenig Filme/Serien schaue ...

Ich hab keine ordentliche Antwort auf meine Frage. :)
Hab kurz mit meinem Mitbewohner drüber gesprochen und wir sind drauf gekommen, dass es vielleicht daran liegt, dass Musik (im weitesten Sinne) sehr früh entstanden ist. Der Rhythmus beim Laufen, die fallenden Intervalle, wenn man jemanden ruft - das waren alles Sachen, die den "Stamm" zusammenhalten. Und wir benutzen eben auch so etwas, um den "Stamm" zusammenzuhalten bzw. Mitglieder zu finden. ;)
Geb's ja zu, das ist reine Spekulation und etwas esoterisch, aber ich glaub ich mag die Theorie ...
@Scheuer Wolf Danke für die Inspiration. :)
Charlotte Sometimes
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Re: Darf man über Musikgeschmack diskutieren?

Beitrag von Charlotte Sometimes »

Diskutieren ,definitives Ja.
Streiten ,Nein.

Ein : "Hey,die Musik die du hörst, ist soooo schei**!"...*So was gibt es tatsächlich*..meine ich nicht.^^

Klar, kann man über Musikgeschmäcker diskutieren,m.E sogar sehr gerne.
Da mich Musik in sehr verschiedener Form fasziniert.

Ich denke auch das da etwas wahres dran ist ,wenn Soiled schreibt, dass der Musikgeschmack, einem quasi in die Wiege gelegt wird.
Ob ,das bei jedem so ist, möchte ich nicht beurteilen/einschätzen.
Bei mir stimmt es aber.
Meine Eltern mochten Musik und hörten zusammen auch gern Musik.
So bin ich aufgewachsen.
Und heutzutage höre ich tatsächlich Musiker ,die ich als Kind "am Rande" mitgehört habe.
Nicht weil ich so nostalgisch bin, sondern weil mir diese Musik (Blues,Jazz; Rock n Roll etc.) tatsächlich gut gefällt.
Ich habe dann natürlich auch noch meinen eigenen Musikgeschmack,der bei niemandem wurzelt,aber das ist für mich überhaupt kein Widerspruch.Das geht zusammen.
Definieren würde ich mich über Musik trotzdem nicht mehr. Ich sage nicht mehr ,weil ich es vor langer Zeit tatsächlich so empfand.
Mittlerweil kann ich, in dem einen Moment einen melancholischen Song von the Cure hören, im nächsten Moment einen Punk oder Blues Song...habe da einen sehr bunten Geschmack :P
Soiled

Re: Darf man über Musikgeschmack diskutieren?

Beitrag von Soiled »

SchwarzeKatz hat geschrieben: Freitag 26. Juli 2019, 18:45 Ein : "Hey,die Musik die du hörst, ist soooo schei**!"...*So was gibt es tatsächlich*..meine ich nicht.^^
Naja. Gibt halt immer empfindliche Leute, die ein "Die Musik, die Du hörst, hat fragwürdige Elemente" interpretieren als "Die Musik, die Du hörst, ist scheiße" oder gleich "Du bist scheiße". :lol:
Kannste nix machen.

Dabei hat das eine mit dem anderen ja nicht unbedingt etwas zu tun. Romano find ich musikalisch gesehen maximal ironisch hörbar, ich krieg von dem Kopfweh. Halte ich ihn trotzdem für einen fabelhaften Menschen? Klar. Glaube ich, dass seine Fans nicht die schlechtesten Leute sind? Logisch.

"Filosofem" halte ich dagegen für so ziemlich die perfekte, angenehme Kuschelmusik, nichtsdestoweniger habe ich sowohl für Herrn Vikernes selbst als auch für seine Fans nur tiefste Verachtung über.
Mio
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Re: Darf man über Musikgeschmack diskutieren?

Beitrag von Mio »

Ich habe nun etwas abgewartet und werde nun „nur“ dies dazu schreiben. Ansonsten bleibe ich nämlich bei meiner Meinung, dass Musikgeschmack individuell ist und über den Geschmack selbst eben deswegen eine Diskussion müßig.

Nun finde ich, dass manche Menschen da zumindest oft trennen müssten zwischen Musik, wenn sie gefällt um der Musik willen (so sollte es heißen, Edit) und denjenigen (sind ja hin und wieder mehrere), welche da die Musik geschrieben haben und auch der bildlichen Darstellung. Ich nehme hier, das noch, Musik von bekennenden Nazis, aus. Kann man nicht der Musik willen hören. Tut mir zudem extrem weh (schon das, was man in Dokus mit Undercoverszenen in Ausschnitten hört). Es mag auch einen Hintergrund der Musik geben bzw. spezielle Zwecke, die man betrachten kann und die man da als genannt "fragwürdig" empfinden kann. Manche, wie genannt, sind objektiv mehr als fragwürrdig, das stimmt. Bei anderen gehts in erster Linie dann doch ums Gefallen.
Aber dann diskutieren wir eben zumeist nicht über den Musikgeschmack, wie ich finde, sondern werden schon musiktheoretisch. Bei dieser Sache wird es jetzt aber schwierig, einen nicht erhöhten Standpunkt einzunehmen, wie mir oft so vorkommt, was dann diesen Eindruck machte für mich: Also ich weiß jetzt was über die Musik, das du nicht weißt / was du nicht bedenkst und du hörst das? Diesen Unterton sehe ich z.B. in Äußerungen wie "... diskret darauf hinweisen ...".

Edit: Und das empfinde ich dann mit dieser Wertung als Abwertung des Musikgeschmacks des Anderen im generellen Sinne. Dies ist für mich der springende Punkt. Man könnte sagen: Hinter Lied/ Künstler X steht Sachverhalt Y. Dann neutral. Eine m.E. abwertende Äußerung siehe gleich.


Ich nehme meine zwei Lieder jetzt mal als Beispiel, um theortisch und nicht geschmacklich etwas aufzuzeigen (Einleitungen wie "Nichts gegen deine..." sind m.E. durchaus belehrend und auch wertend;) ):
- Wenn ich das Lied „The Siamese Cat Song“ von Peggy Lee höre, und das nun ohne Bilder, höre ich da Folgendes heraus: Zwei Siamkatzen halten sich als Rassekatzen für etwas Besseres (sinngemäß: Wir sind Siamesen, wenns recht ist. Wir sind Siamesen, wenns nicht recht ist.) und wollen ansonsten sich im neuen Zuhause umsehen und dann den Fisch fressen und nachdem dieses nicht gelingt, wollen sie zur Babywiege und Milch abgreifen. Peggy Lee sagte mir vorher nichts, aber ich kannte doch einen Song von ihr, ohne zu wissen, dass sie es war: „Fever“. Höre ich also das Lied der Katzen ohne den Film, dann sage ich mir: Ach, typisch Katze. Und dass das Lied thailändisch angehaucht ist? Sei es drum, es sind Siamkatzen. Hätte das z.B. Jazz sein sollen ;)?
- Wallenstein von D’Artagnan. Nun mag es einigen Personen nicht gefallen, was die sonst so machen, aber es bleiben die Lieder. Und diese kann man trennen. Es muss nicht jedermanns Geschmack sein, manche können damit nichts anfangen, was die machen, gut. Allerdings kann ich das trennen. Bleibt das Lied, „Wallenstein“. Was mich hier eher wundert – und ich bin ein bisschen historisch bewandert in der Sache – zumindest habe ich die Folge „Wallenstein und die Deutschen“, aus der Bilder im Video stammen, x-mal gesehen und weiß auch sonst etwas über den Dreißigjährigen Krieg: Hier hätte eher kritisiert werden „müssen“, dass Wallenstein einer der größten Kriegstreiber war, die es je auf Erden gegeben hat. Aber das am Rande.

Hat jetzt allgemein die Musik fragwürdige Elemente oder haben das die Musikschaffenden? Oder beide (wie gesagt, siehe zum Thema Wallenstein; aber hier weiß ich das eben, was dahintersteht und mags trotzdem)?
Treibe ich dies auf die Spitze, komme ich wieder zu den Wagner-Festspielen.
Hier sollte man etwas bewandert sein, wie Hitler und Wagner zusammenhängen bzw. was Wagner zu Lebzeiten dachte. Aber das kann man nachschlagen.
Hat jetzt Wagner etwas, das man kritisieren kann?
Fließt es in die Musik?
Hier ist es m.E. schon eher gegeben, dass genannte „fragwürdige Elemente“ zu finden sind, da man vor allem als Einigung der Deutschen im 19. Jahrhundert die Heldensagen und vor allem das Nibelungenlied als etwas Urdeutsches und Germanisches aufgriff. Dies war durchaus nationalistisch zu sehen. Wie ist es denn noch zu betrachten, dass Hitler die „Nibelungentreue“ so hochhielt? Und doch: Auch dieses Jahr wieder ließ sich Angela Merkel dort sehen. Ist sie jetzt als "rechts" anzusehen?
Wagner fällt da irgendwie hierzulande aber nicht in die Diskussion "rechts", wenns um die Musik geht... (jetzt fehlt mir der Kopfkratzsmiley). ;)
Vertrackte Sache, das mit den fragwürdigen Elementen, wie ich finde ;).
Wo ich selbst Musik und Künstler nicht trennen kann, ist bei Oliver Shanti. Hab früher viel die indianisch angehauchten CDs gehört. Aber das kriege ich nicht mehr hin, für solche Leute wie Shanti (Kindesmissbrauch!) hab ich nichts übrig.
Heute höre ich lieber echte Indianer (auch wenn da wohl angeblich welche dabei waren bei Shanti), aus ganz Amerika (mag z.B. "Ananau" sehr gerne, und hier nicht das von Oonagh, sondern das Original von Alborada - möchte die noch bei Amazon Musik genauer hören).
Sooo, das Ganze hatte jetzt mit reinem Musikgeschmack wenig zu tun ;).

Ich nehme jetzt mal das Beispiel deutsche Schlager, um das noch einmal zu trennen. Man kann sagen, das ist völlig legitim: Schlager – bäääh! Schlager sind was für einfache Gemüter. Bleib mir bloß fern damit.
Schlager sind was für einfache Gemüter. Und hier wird es schon schwieriger.
Jetzt sollte man aber nicht hergehen und demjenigen sagen, der Schlager hört: Also, Schlager sind ja so seicht, das hören einfache Gemüter und die Texte, da ist nix dahinter, das ist usw. usf. blabla.
Da ist man schon wieder in der Bewertung des anderen (ja, das sehe ich so) bzw. in der Theorie.
Geht man allerdings jetzt in die Musikgeschichte, kommt man zu einem anderen Bild als das, was man heute hat. Ich nehme mal deutsche Schlager ab 1945. Da waren Schlager nun auch etwas – Achtung, für die, die Schlager so empfinden und nicht verallgemeinernd – zum Wohlfühlen. Und warum? Schlager sind heile Welt, oft genug zumindest. Ja, sie enthalten eingängige und als einfach empfundene Elemente. Schlager sind zunächst auch ein Rückzugsort für die Korrektur Kriegsgeneration gewesen und auch sind die deutsch gewesen. Die Jugend sah das sicherlich nun oft genug anders, auch wenn es vor allem in den 70ern viele junge Schlagersänger gab, welche hier auch wiederum wohl jüngere ansprachen. Und erstaunlich, dass Deutschland ausgerechnet mit einem sog. Schlager den damaligen Grand Prix D’Eurovision de la Chanson gewonnen hat (Nicole – Ein bisschen Frieden). Ich sollte noch sagen, dass ich da etwas vorgeschädigt bin von meinem Elternhaus. Es gab „damals“ sicher schon Schlager, die waren einfach nur zum Besaufen und Schunkeln und Klatschen. „Sieben Fässer Wein“ von Roland Kaiser z.B. (kurz zur Geschichte: Mann säuft vor der Hochzeit, um das letzte Mal die Sau rauszulassen, kommt zugedröhnt zur Kirche, Hochzeit gestern, Mann säuft fröhlich weiter – noch mal davongekommen). Oder Costa Cordalis in mancher Hinsicht, der fällt mir gerade ein. Oder Rex Gildo (bei manchen Leuten geht „Fiesta Mexikana“ wohl besoffen immer noch?). Halt – da bin ich bei einem weiteren Kapitel, wie auch mit Roy Black. Tragische Figuren. Das Management der beiden hatte die ganz schön im Schraubstock für Erfolg (Gildo war homosexuell und Black wollte lieber Rocker sein). Schlager ist also hinter den Kulissen oft alles andere als heile Welt.
Manche Schlager allerdings hatten es ganz schön in sich, textlich. Udo Jürgens z.B. Ja, ich liebe die Satire „Aber bitte mit Sahne“. „Griechischer Wein“ ist eben kein Sauflied und „Ein ehrenwertes Haus“ ist auch ernst.
Heute ist der Schlager ja eher poppig und ja, mir scheint, das geht heute eher in Richtung Party. Zudem sind das auffallend oft junge Sängerinnen, die attraktiv gefunden werden sollen oder auch die junge Generation ansprechen sollen. Da ist es schon fast ein Wunder, dass es neben der Egli und May und Fischer eine Kerstin Ott gibt. Wobei die m.E. wieder in Richtung der Texte wie teils Udo Jürgens geht.
Was ich allerdings persönlich mehr als grottig finde und da am liebsten ... würde (nein, ich sag nix, man weiß ja nie, was draus wird ;) ), sind die Mallorca-Typen. Da würde ich auch sagen: Da hat sich das Hirn schon gänzlich verabschiedet. Blöd sind die Macher allesamt nicht, bringt ja Kohle. Bei Übermedien findet man einen Zusammenschnitt des Mallorca-Fernsehgartens. Wer noch was zum Foltern sucht...

Schlager selbst gab es schon früher. Was habe ich als Kind "Das Nachtgespenst" von Peter Igelhoff geliebt. Glaube, aus den 1930ern...

Schlager an sich sind massentauglich. Und eben melodisch sehr eingängig. Und oft seicht. Sei es drum. Ein Genre von vielen.
Und international manchmal. "An der Nordseeküste, am plattdeutschen Strand, sind die Fische im Wasser und selten an Land." Klaus und Klaus. Als Kind mag man das.
Oder aber, wer die Melodie kennt: " And it's no nay never, no nay never no more, will I play the wild rover, no never no more." Das mag ich jetzt.
Die Küste war später dran. Die Deutschen haben sich hin und wieder bedient.

Muss man nicht mögen. Kann man als Genre kritisieren. Den Menschen aber abzustempeln wäre zu einfach. Und das wäre für mich Kritik am Musikgeschmack. Und der sagt hin und wieder für sich genommen kaum etwas aus.

Das ist jetzt etwas lang geworden zum Thema Schlager.
Hätte das z.B. auch zu anderen Genres so ausführen können, aber da bin ich eben vorgeschädigt.
Gäbe für noch weitere Stile sog. genannte „fragwürdige Elemente“:
- Country: Waffennarren ;). Cowboyromantik. Extrem christliches Weltbild. Seicht.
Oft, aber: Greift die Lebenswelt des John Doe auf mit seinen Nöten, Hoffnungen, Alltagsproblemen. Könnte man jetzt unabhängig davon auch sagen: Verherrlicht die Cowboys, die es so nicht gab und einen übermäßigen Patriotismus, möchte ich "diskret darauf hinweisen". Mit " " käme der Untetton rein.
- Klassik: Was heute schon als etwas Gehobeneres gilt, war früher sozusagen der Schlager der Leute. Also auch nix Besonderes im heutigen Sinne. Mozart z.B. hat Konzertreisen gemacht, der war sozusagen auf Tournee. Irgendwie nicht ganz so gehoben in dem Sinne. Könnte man auch sagen, der Mann war Popstar. Oder anders, Falco: Rock me Amadeus. Und das gesteuert vom Management - äh dem Vater.
- Marschmusik: Liegt irgendwie auf der Hand, warum das jetzt fragwürdig wäre, betrachtet man alleine das Genre (--> im Gleichschritt marsch!). Ach so: Hab ich auch von zuhause Einiges mitbekommen.
Mag jetzt nicht mehr nachdenken ;).


Jetzt „nur“ noch das: Ich selbst höre, wie gesagt, viele Dinge in Trennung zwischen Musik und eben den Schaffenden.
Ich kann jetzt z.B. einen Menschen haben, der Marschmusik hört. Wenn jetzt jemand aber zu diesem etwas mit dem Unterton sagt: Du weißt schon, dass das für die Armeen war und Krieg usw. usf., dann geht das aber wieder in die Kritik nicht der Musik für mich, sondern in eine Belehrung über und in die Kritik des Geschmacks im Allgemeinen. Und das ist genau der Punkt, um es zu beenden, der mich störte ;). Sachlich gesehen könnte man sagen: Der Hintergrund ist dies und das. Ich persönlich finde es nicht gut, weil... Ich überlasse es aber Dir, darüber nachzudenken.

Noch ein Edit: Für mich ist es so, dass Musik oft genug etwas für die Seele ist. Oder nach Friedrich II.: Jeder soll nach seiner Façon... Was der eigenen Seele guttut, ist der Musikgeschmack. Für mich insofern auch deswegen nicht diskutabel.
Das Auseinandersetzen mit der Musik ist für mich z.B. Musiktheorie. Und darüber kann man diskutieren.

Das ist mein Beitrag zum Thema.
"After all this time?"
"Always"


Der Sohn fragt: „Und welcher der beiden Wölfe gewinnt?“
Der alte Indianer schweigt eine Weile.
Dann sagt er: „Der, den du fütterst.“

 
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