Wie kam die viktorianische Mode in die Szene?

Alles über Gothic und die Schwarze Szene.
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Grauer Wolf
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Re: Wie kam die viktorianische Mode in die Szene?

Beitrag von Grauer Wolf »

Ach ja.... die Vampyre der 90er Jahre sind irgendwie völlig an mir vorbei gegangen und haben keinerlei bleibenden Eindruck hinterlassen -- weder an der Halsschlagader noch im Gedächtnis. Und wenn ich es mir genau überlegen, so ist »Tanz der Vampire« auch der einzige Film jenes Genres, den ich mir jemals zu Gemüte geführt habe.

Stellt sich nun also die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Anzahl Vampyrfilmen und der Anzahl Gothen. Ein kleiner Blick in die Statistik zeigt folgendes:

858
Man soll Leuten nicht Boshaftigkeit unterstellen,
wenn man ihr Verhalten genau so gut durch Dummheit erklären kann.
(Hanlon's Razor)

:anger: :zap: :bomb: :boom: :fire: :rocket:
Heimfinderin

Re: Wie kam die viktorianische Mode in die Szene?

Beitrag von Heimfinderin »

Ich habe selbst mit dem Vampir-Zeug auch eher weniger zu tun gehabt, und die heutigen opulenten Reifrock- und Tournürenkleider erinnern mich eher an "einmal nur Prinzessin sein" :lol: Wohl eine Typ-Frage, die ich nicht in Frage stellen möchte ^^
Heute ist mir Vampir und Viktorianisch zu ausgenudelt (spätestens seit Glitzer-Edward ist der Vampir gestorben XD)
Mein ältestes Bild ist von ´89 als Teenager, und ich erinnere mich an den lappeligen, weiten Pulli, kürzerer, enger Rock, schwarze Strumpfhosen und ich hatte olle Armeestiefel oder Pikes. Auf dem Bild ist die Frisur ein Sidecut und irgendwie gebleicht. Am Ohr hängt ein Petruskreuz.
Ich weiß noch, dass ich eine Bikerjacke hatte, eine ganz glatte, enge Lederjacke aud den 70´ern, die etwas länger über dem Hintern war und einen Mantel. Das ist aber alles weniger Taillen-betont als heute mit den Korsetts. Und irgendwie abgefuckter und nicht so klinisch rein O_o
Auf späteren Bildern haben manche Sachen Spitze dran (auch mit Hosen getragen) und ich sehe eine Gemme im alten Stil. Die Röcke sind auch lang, aber eher Morticia-like :oops: Wobei die ja auch vampirartig auftritt.
Und dann war ich weg und als ich wiederkam, war der Fasching am Laufen :shock:
Nee, dazwischen war irgendwann das ganze Techno-Zeug, wo die Leute hingeströmt sind, aber damit hatte ich nichts mehr zu tun. Hab ich genausowenig kapiert, wie manche auch New Wave oder Synth-Pop dazu holen, die ganz normal im Radio liefen und mit Gruftie auch nichts zu tun hatten.
Ende der 90´er ging bei mir irgendwann das Online-Gaming los, da gab´s UO. Und nebenbei ist man dann im Netz immer mehr von dem neuen Gothic-Zeug überschwemmt worden. Wie dieses Revival genau zustande kam, würde mich auch mal interessieren.
Ich war aber nie auf Film-Kunst fixiert, ich habe ehe viel Literatur aus der viktorianischen Zeit gelesen. Also das übliche.
blacksister´s ghost

Re: Wie kam die viktorianische Mode in die Szene?

Beitrag von blacksister´s ghost »

Wenn ich mir das Diagramm ansehe, gehöre ich wohl zu den 2000 Revival-Ghoten.
Eine zeitlang fand ich diese Vampirfilme auch tatsächlich interessant. Gehörte für mich irgendwie dazu. War für mich aber nich der Grund, dass ich dem Revival "beitrat"...
Für mich war´s tatsächlich das gehemnisvolle (wobei das ein doofes Wort ist) und parallel die Musik, was mich anzog. Davon ma ab, dass ich eh schon irgendwie vorgeschädigt war. Ich kannte kein anderes Kind mt ner Plüschfledermaus, das The Munsters und Adams Family kannte und schaute.
Aber ich werd nie vergessen als ich meinen ersten Schwarzen sah. Bis dahin gab´s das weder in meinem Wortschatz noch innerhalb meines Wissens. Aber das war faszinierend. Weil auch die ganze Atmosphäre dazu passte. Dunkler Oktoberabend...die Straße nass, weil´s geregnet hatte und der stiefelte mit offenem Mantel, der durch den Wind hin und her schwang, die Straße entlang.
Ich muß ehrlich sagen, ich mag die Zeit Ende der 90er /anfang 2000er. In meiner Erinnerung is da aber nix was groß diesem viktorianischen Modestil entspricht. Die Klamotten waren viel aus Samt, teilweise mit weiten Ärmeln und hin und wieder nen Farbtupfer. Oder was mit transparenten Stoff, Fischnetz, Ledermäntel und Boots. Aber da war so gut wie nix mit eingeschnürrt oder opulent.
Heimfinderin

Re: Wie kam die viktorianische Mode in die Szene?

Beitrag von Heimfinderin »

@ blacksister
Ja, so kann ich mich auch noch an die Ausstaffierung erinnern.
Ich bin Anfang der 70´er geboren und irgendwie dazwischen gerutscht. Aber ich habe einen älteren Bruder und dessen Freund war Gruftie der alten Generation, als ich noch nicht auspubertiert hatte. Den fand ich so toll wie du deine mantelschwingende Begegnung :mrgreen:
Naja, in der ländlicheren Gegend dürfte es auch anders gewesen sein als in den Großstädten.
Ich hatte noch das Glück, in einer Universitäts-Stadt meine Jugend verbracht zu haben, da gab es viele Studierende und doch ein akzeptables Kulturangebot und Nachtleben, gerade im alternativen Bereich.
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Graphiel
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Re: Wie kam die viktorianische Mode in die Szene?

Beitrag von Graphiel »

blacksister´s ghost hat geschrieben: Freitag 6. Dezember 2019, 09:15 Wenn ich mir das Diagramm ansehe, gehöre ich wohl zu den 2000 Revival-Ghoten.
Eine zeitlang fand ich diese Vampirfilme auch tatsächlich interessant. Gehörte für mich irgendwie dazu. War für mich aber nich der Grund, dass ich dem Revival "beitrat"...
Für mich war´s tatsächlich das gehemnisvolle (wobei das ein doofes Wort ist) und parallel die Musik, was mich anzog. Davon ma ab, dass ich eh schon irgendwie vorgeschädigt war. Ich kannte kein anderes Kind mt ner Plüschfledermaus, das The Munsters und Adams Family kannte und schaute.
Dem kann ich mich beinahe kommentarlos anschließen, bin ja auch so ein 2000er Revival-Gothe, wenn man so will. Zwar fand ich den Vampir als Sagengestalt tatsächlich faszinierend (finde ich auch heute noch so, wenn man mal den Twilight-Glitzermist ausblendet), aber der Grund war das auch für mich nicht, der Szene beizutreten. Bei mir waren es allgemein die Liebe zum düsteren und mystischem, sowie eine gute Portion Kritik an der Lebensweise meiner bunten Mitmenschen. Hinzu lernte ich dann natürlich auch entsprechende Musik kennen, in der ich mich wiederfand. Auch wenn diese schon längst nicht mehr nur aus den ursprünglichen Richtungen entstammte. ;)

In meinen Erinnerungen spazierten um die Jahrtausendwende tatsächlich schon Herren in Rüschenhemd, oder Frack, Boots und Zylinder über die Tanzfläche. Einer, der mir dabei noch heute sehr deutlich vor Augen ist kombinierte dies gar mit einem Fischnetz, sodass er damals auf mich wirkte wie eine sexualisierte Variante vom Pinguin aus der Batmancomicreihe. Zumal der Mann auch noch einen, dem Pinguin entsprechenden Körperbau besaß. Andererseits fanden meine ersten Besuche auch nicht in eher kleinen und heimeligen Diskotheken statt, sondern in einer der zwei größten Schuppen unserer Gegend. Vielleicht rühren daher die unterschiedlichen Erfahrungen. *schulterzuck*
"Sowas kann doch nur Leuten einfallen, die in Assoziationsspielchen neben Hund, Katze und Maus auf "Hmm.... Schwingschleifer!" kommen, oder?" - Barlow
blacksister´s ghost

Re: Wie kam die viktorianische Mode in die Szene?

Beitrag von blacksister´s ghost »

Graphiel hat geschrieben: Freitag 6. Dezember 2019, 10:20 Bei mir waren es allgemein die Liebe zum düsteren und mystischem, sowie eine gute Portion Kritik an der Lebensweise meiner bunten Mitmenschen.
Dass ich mit meiner Art zu denken und zu leben, eher in diese Szene passe, hab ich erst später gemerkt, als ich mich mit hr befasste.
Heimfinderin

Re: Wie kam die viktorianische Mode in die Szene?

Beitrag von Heimfinderin »

Die Herren scheinen also früher davon betroffen :mrgreen:

Was ihr wichtiges angesprochen habt – die Kleidung ist ein Weg, sich abzugrenzen oder Kritik an der bunten Gesellschaft zu üben oder das auszudrücken, was man fühlt. Wie ich das in den Beiträgen herauslese...
Ich lese nun immer wieder die beiden verschiedenen Meinungen, dass es klare Grenzen gibt, um die Sache nicht völlig zu entfremden und bei etwas völlig anderem zu landen oder dass die Szene offen bleiben müsse und der Wandel und immer wieder neue Inspirationsquellen alles am Leben halten. Oder so ähnlich. Fraglich ist dann natürlich, wie weit sich etwas entfernen kann, um nicht etwas völlig anderes zu sein O_o Und das ist ja wieder das „Fühlen“. Es fühlt sich doch dann irgendwann auch anders an, oder nicht?
Mal völlig wertfrei: in meiner Jugend waren Subkulturen noch viel klarer getrennt. Das galt auch für die anderen. Man hat sofort erkannt, wer wo einzuordnen war, welche Musik er hörte, man konnte das etwa abschätzen. Ich hatte zB auch Psychobillys im Bekanntenkreis, bei denen war das genauso. Die hatten bestimmte Stilelemente, auch bei der Art sich zu kleiden, ihre Wohnungen waren entsprechend eingerichtet, und so waren die immer, auch im Alltag. Auch an der Arbeit. Punks waren sowieso außen vor mit ihrer Haltung gegen das System. Und keiner wollte sein wie die „Normalos“ oder Spießer. Bei den einen konnte man eine gewisse Gesellschaftskritik finden, aber nicht bei allen. Bei anderen ging es nur um Musik, Stil, ein anderes Lebensgefühl (das ominöse XD). Es hat nicht gepasst, man hat etwas anderes gesucht. Aber es wurde mehr „ganz oder gar nicht“ gelebt. Man hatte irgendwie gar keine andere Montur im Hinterstübchen.

Um jetzt zum Thema zurückzukommen: Ich habe diese ausladenden, historischen Kleider immer nur auf Veranstaltungen wie das WGT gesehen (die weibliche Variante), oder auf den unzähligen Shooting-Fotos im internet. Wie gesagt, alte Gewänder habe ich auch, aber bei weitem nicht in dem Extrem wie heute. Es ist nicht alltagstauglich.
Wenn man jetzt die Bilder von den ersten WGTs betrachtet, sind dort Leute zu sehen, die genauso herumlaufen wie daheim. Bei den viktorianischen Kleidern heute habe ich aber den Eindruck, sie sind speziell für solche Anlässe angefertigt worden. Niemand steht doch in solchen zuhause am Herd oder trägt das beim Brötchen holen. Und da kriege ich die Kurve nicht... Früher gab es keine Handys; Fotoapparat hatten nur ein paar Leute, auf Konzerten usw. hat man auch mal geknips fürs private Fotoalbum. Es gab aber keinen Grund. Es gab ja auch kein Internet, wo man sich gezeigt hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich einen Unterschied gemacht hätte bei meinen Klamotten, ob ich jetzt arbeiten war oder auf einem Konzert. Aber dieses ganze Ablichten und Herzeigen fiel ja auch komplett weg.
Ich kann es verstehen, wenn jemand sagt, dass er diese Kleider einfach liebt, dass er sie als schön empfindet und gerne trägt. Liebhaberei. Aber mir scheint das Ganze, wenn man nur von den Großveranstaltungen und „Aushängen“ ausgeht, eher mit einem „gesehen werden“, „auffallen“, „sichtbar sein“, „abbilden lassen“ einherzugehen. Und das passt für mich dann nicht mehr mit dem oft aufgeführten „sich abgrenzen wollen“ zusammen. Wenn man gesehen werden will, will man ja etwas von seinen Mitmenschen. Klar, der Zeitgeist ist ein völlig anderer und der Arbeitsmarkt hat sich verändert. Die jüngeren sind bereit, Kompromisse einzugehen, die wir früher gar nicht eingesehen haben. Ich weiß aber nicht, ob unsere Umstände leichter waren oder es uns leichter fiel, oder wichtiger war, zu verzichten. Und natürlich konnte man sich mit einfacheren Mitteln abgrenzen oder schockieren. Heute würde man nur ein müdes Lächeln ernten.

Wann und wo tauchten diese viktorianischen Kleider denn auf? Mir scheint das eher damit zusammenzuhängen, dass die Szene sichtbarer wurde. Und die Kleidung immer ausschweifender? Die heutigen Kleider dienen doch auch weniger der Abschreckung als der Bewunderung?
Ich krieg das irgendwie alles nicht zusammen :(
Zuletzt geändert von Heimfinderin am Freitag 6. Dezember 2019, 14:10, insgesamt 2-mal geändert.
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Graphiel
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Re: Wie kam die viktorianische Mode in die Szene?

Beitrag von Graphiel »

blacksister´s ghost hat geschrieben: Freitag 6. Dezember 2019, 11:44 Dass ich mit meiner Art zu denken und zu leben, eher in diese Szene passe, hab ich erst später gemerkt, als ich mich mit hr befasste.
Naja, ich fand hauptsächlich durch meinen Cousin in die Szene und hatte durch ihn zumindest rudimentäre Informationen über diese bekommen und dass meine Art zu leben und zu denken dort durchaus geteilt wird. Ich hatte also schon eine kleine (wenn auch nicht die urgruftigste) Unterstützung, als ich meine ersten Gehversuche im Szeneleben machte ;)
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Schattenwurf
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Re: Wie kam die viktorianische Mode in die Szene?

Beitrag von Schattenwurf »

@Heimfinderin
Ich glaube das ist kein, rein viktorianisches, "Problem". Sondern schlicht der Zeitgeist.
Ich weiss von Leuten, sie zu kennen wäre zuviel gesagt, die einen auf "Supertruegrufti" machen ... evil evil ...
und in einer blütenweißen Bude hausen.
So eine Art ... Antivanitas.
Great minds discuss ideas;
average minds discuss events;
small minds discuss people.
blacksister´s ghost

Re: Wie kam die viktorianische Mode in die Szene?

Beitrag von blacksister´s ghost »

@Heimfinderin
Du hast das Geschehen in der der heutigen Szene wunderbar wiedergegeben.
Ich kann mir auch nich vorstellen, dass die ganzen Leute, die in ihren vikt. Klamotten auf dem WGT rum laufen, auch im echten Leben so ausehen.
Hin und wieder hat man, wenn man Berichte gesehen hat, von Realitätsflucht gehört. Die Leute wollen aus dem Alltag flüchten bzw. in eine andere Zeit flüchten. Wieso...keine Ahnung?!
In meinen Augen ist die immer erwähnte Toleranz in der Szene schuld. Jeder weiß, in der Szene sind "Freaks" unterwegs, die die anderen sein lassen wie sie sind. Und das zieht die Leute, wie die Motten das Licht, an. In meinen Augen wird diese Toleranz einfach falsch interpretiert. Man hat den Begriff in der Szene bis auf´s geht nich mehr ausgereizt.
Meiner Meinung nach sind die Leute inzwischen aus anderen Beweggründen in der Szene und Wurzeln bzw. der Ursprungsgedanke hinter der Sache, zählen nich mehr.