Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?

Alles über Gothic und die Schwarze Szene.
Graphiel
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Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?

Beitrag von Graphiel »

Hm... Wo fange ich bei diesem am besten Thema an? Vielleicht damit, dass ich zunächst einmal etwas meinen Blickwinkel beschreibe, aus dem ich heraus meine Idee zu diesem Thema einnehme. Als ich mich zur Jahrtausendwende der Szene anschloss, bestand diese bereits aus einer wilden Mischung völlig verschiedener Genres. Wenn man wie ich damals (noch völlig grün hinter den Ohren) einen der größeren Clubs betrat, wurde man sogleich mit der "bunten" Mischung konfrontiert, die wir im Grunde auch heute noch auf den verschiedensten Veranstaltungen sehen können. Die heutzutage oft kritisierte Toleranz der Szene wurde quasi bereits voll ausgelebt, von irgendeiner Unaufgeschlossenheit gegenüber Grünschnäbeln wie mir habe ich damals so gut wie gar nichts mitbekommen. "Du interessierst dich für morbide Themen? Du findest die Vorstellungen deiner normalo Mitmenschen seltsam? Du fühlst Dich zu mystischen Dingen hingezogen und hörst Musik, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen? Zieh schwarze Klamotten an und du bist dabei!" - so ungefähr hätte man die damalige Lage bei uns im Club beschreiben können, als ich dazu kam.

Das war mein damals.

Heute orientiere ich mich nicht nur musikalisch weit mehr an den Wurzeln der Szene. Ich beschäftige mich viel mit den Dingen, welche die damalige Szene so ausmachten, besuche regelmäßig Revivalveranstaltungen und pflege lieb gewonnene Kontakte zu Schwarzen aus jener Zeit, die ich selbst nicht mehr miterlebt habe. Des weiteren studiere ich mit Interesse Zeitzeugenberichte um in etwa eine Idee zu erhalten, was denn damals das Szenegefühl ausgemacht haben könnte und warum es - wie viele meinen - heute nicht mehr, oder nicht mehr in der Form da ist, wie einst. Ein sich stetig wiederholender Punkt, der mir dabei auffällt sind die äußeren Umstände, in denen die jeweilige Generation Schwarz lebte. Die 80er waren teils noch vom kalten Krieg gezeichnet und selbst ich als 83er Jahrgang hier im Westen habe in meiner frühen Kindheit noch beigebracht bekommen, dass wir noch immer in einem Schwebezustand zwischen "alles in Ordnung" und "Es könnte doch noch knallen" leben. Der Osten durfte sich dafür mit einem maroden System herumschlagen. Umwelt war spätestens nach Tschernobyl auch ein großes Thema in den Köpfen der Menschen. Als die Mauer fiel und das versprochene "Gelobte Land" nicht kam, sondern die Arbeitslosigkeit in die Höhe schoss, ging es weiter. Es gab also für Menschen, die aufgrund ihrer Interessen ohnehin nicht viel mit der breiten Masse anfangen konnten noch einmal mehr Gründe sich irgendwie abzugrenzen. Auch wenn das vielleicht nicht DIE Gründe schlechthin waren, sich in den damaligen Szenelandschaften zusammen zu rotten, so wage ich mal zu behaupten, es hat dazu beigetragen das damalige Wir-Gefühl zu stärken, so halt auch in der schwarzen Szene. Internet, wo man sich von zu Hause aus über große Distanzen zusammenschließen konnte um gemeinsame Interessen und Vorstellungen auszutauschen gab es schließlich nicht, also musste man wohl oder übel persönlich Kontakte knüpfen. Um dabei wirklich unter sich zu bleiben half es natürlich ungemein als Szene unaufgeschlossen gegenüber allem Fremden zu bleiben. Eine Toleranz, wie wir sie heute in der Szene erleben, wäre damals nicht denkbar gewesen, ohne die Szenelandschaft gleich wieder zu zerlegen. Damit war es aber auch für Außenstehende viel schwieriger die Menschen hinter dem Schwarz zu ergründen.

Kommen wir damit zum heute:

Die Welt ist quasi zu einem riesigen Supermarkt geworden. Egal was für Bedürfnisse du auch hast, sie können mit wenigen Klicks befriedigt werden. Wenn du keine Bedürfnisse hast, so werden eben ein paar neue in dir geweckt, ohne dass du davon viel mitbekommst. Sorgen, Nöte und Probleme wie man sie beispielsweise noch beim Ost-/Westkonflikt quasi unweit der eigenen Haustür erleben konnte sind in weite ferne gerückt oder haben sich soweit verlagert, dass es eh keinen Unterschied mehr macht wer jetzt darüber redet. Themen wie politische Situationen sind heute nichts mehr, womit sich nur alte Leute und einzelne Grüppchen von Individualisten beschäftigen. Selbst das große Thema Tod und Verfall (ja quasi das Thema der Gruftis schlechthin) ist heute kein Tabuthema mehr. Dank des Internets kann inzwischen quasi jeder seinen Teil dazu beitragen. Ob man damit mehr Erfolg hat ist ein anders Thema. Umweltprobleme wie der Kilmawandel oder Fukushima sind entweder weit weg, oder nicht recht greifbar. Da wird dann höchstens wieder gemeinschaftlich darüber genörgelt, dass es heute besonders heiß ist, oder wie sich Kinder dazu erdreisten können Freitags blau zu machen, um für die Umwelt zu protestieren, während sie von den Eltern mit der dicken Karre zur Demo gefahren werden. Kurzum: eigentlich geht es den Menschen heutzutage schon ziemlich gut und wir haben es hier vor Ort (mal von Themen wie Klimawandel und dumme Politiker) mehrheitlich mit Luxusproblemen zu tun.

Und wie schaut jetzt die Landschaft der schwarzen Szene aus? Dort scheint sich die relativ heile Welt wiederzuspiegeln. Heutzutage kann sich jeder mit Internetanschluss genügend Material zusammen sammeln, um zumindest eine grobe Vorstellung davon zu erhalten, was denn Schwarz sein so bedeuten könnte und verschiedene Modehersteller liefern dir dazu praktischerweise noch das passende Outfit. Selber schneidern? Fehlanzeige. Selbst (so wie ich das mal in einem sehr interessanten Bericht eines Ruhrpottgruftis las) die Grundausstattung bei C&A kaufen und zu Hause dann bearbeiten ist nicht mehr notwendig. Alles gibt es von der Stange. Die größte Sorge des modernen Schwarzkittels scheint nur noch darin zu bestehen, woher er heute seinen neuen Ledermantel bekommt. Clubs mit Besuchen zu unterstützen ist eigentlich auch nicht mehr notwendig. Man kann heute bequem von zu Hause aus youtube anschmeißen und sich bei Kerzenschein und Patschouli mal wieder so richtig obergruftig fühlen. Wenn man dann doch mal Lust hat mit anderen zu plaudern: Yeah, das Fratzenbuch macht es möglich! Und da es uns sonst ja an nichts fehlt und wir eh nichts mehr wichtiges haben, von dem es sich abzugrenzen lohnt, dann könnten wir uns ja mal der Toleranz widmen und dass die Szene ruhig etwas toleranter sein dürfte. Schließlich gibt es ja eh keine wichtigeren Themen mehr als die Frechheit, dass man letzte Woche im Club mit 250kg im hautengen Latex-feenkostüm nicht mit stürmender Begeisterung aufgenommen wurde. Tabuthemen wir Sex, Tod und Gewalt werden schließlich in der bunten Welt reihenweise aufgebrochen und stören kaum mehr wen. Pöse Welt aber auch auch... uff!

Zum Abschluss nun noch mal mein Gedankengang in Kurzform:
Wenn die äußeren Umstände dazu führen, dass sich ein wie auch immer gearteter Protest bzw eine Abgrenzung nicht mehr notwendig anfühlt, so sinkt das Wir-Gefühl und es haben zunehmend neue Strömungen und Auswüchse Gelegenheit ihre Interpretation dieser Bewegung beizumengen.

Fragen, welche ich hier jetzt mal in Runde werfen möchte:
- Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?
- Sehr auch Ihr einen Zusammenhang zwischen Szenegefühl und der allegemeinen gesellschaftlichen Situation?
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blacksister´s ghost

Re: Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?

Beitrag von blacksister´s ghost »

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Zuletzt geändert von blacksister´s ghost am Samstag 10. August 2019, 19:00, insgesamt 1-mal geändert.
Demon89
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Re: Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?

Beitrag von Demon89 »

Obwohl ich, was deine Beispiele angeht, doch einiges etas anders betrachten würde, würde ich dir doch im Groben zustimmen.
Kommen wir also gleich zu deinen Fragen:

1.
Graphiel hat geschrieben: Dienstag 11. Juni 2019, 11:47 Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?
Jaein
Also, Menschen an sich sollte es eigentlich nie zu gut gehen können. Und auch die Szene besteht - so munkelt man - hauptsächlich nur aus Menschen.
Dass das ganze natürlich ein Problem für eine Szene ist, die sich hauptsächlich über Abgrenzungen definiert, wird wohl jedem ersichtlich sein.
Denn wenn Abgrenzungen nicht mehr wie gewohnt möglich sind, fängt dadurch natürlich die Szene auch an sich selbst zu verlieren, in Frage zu stellen oder aber sich weiterzuentwickeln. Das weiterentwickeln ist dann kritisch zu betrachten. Den neuen Generationen und dem Erhalt der Gemeinschaft ist dies förderlich - für die untergehenden ewig Gestrigen ein lästiger Dorn im Auge. Letztere Beschweren sich über das Untergehen einer Gemeinschaft, die selbst kaum mehr existiert.

Man kann zum Nachdenken darüber ja die (provozierenden) Thesen nehmen, die hier schon an anderer Stelle in einem anderen Zusammenhang stehen:
Grauer Wolf hat geschrieben: Montag 28. Mai 2018, 23:02 Ich lehne mich jetzt einmal provozierend aus dem Fenster und behaupte, daß die AfD in erster Linie eine Protestpartei ist, in welcher sich vornehmlich Leute tummeln, die mit sich und ihren, gefühlt vom Mainstream aufoktroyierten Lebensumständen nicht zufrieden sind. Unter den Gothen tummeln sich Leute, die mit dem kulturellen Diktat des Mainstreams nicht zufrieden sind und sich dementsprechend von diesem absetzen. Der Schritt von der einen in die andere Unzufriedenheit mag kleiner sein, als dem Einen oder der Anderen unter uns lieb ist. Wer sich einmal als Opfer oder Verlierer sieht, sucht Halt, wo er ihn nur kriegen kann -- sei es in der AfD, sei es unter den Gothen.
Grauer Wolf hat geschrieben: Samstag 2. Juni 2018, 18:07 Denn die AfD will die guten, alten BRD Zeiten zurück -- die so aber nie existiert haben, sondern nur in den verklärten Erinnerungen.

2.
Graphiel hat geschrieben: Dienstag 11. Juni 2019, 11:47 Sehr auch Ihr einen Zusammenhang zwischen Szenegefühl und der allegemeinen gesellschaftlichen Situation?
Eher indirekt. Die Szene zeichnet sich vor allem darin aus, die Gesellschaft als groteskes Spiegelbild wiederzugeben oder sich von ihr abzugrenzen. Gleichzeitig sind die Mitglieder der schwarzen Szene natürlich auch immer Teil ihrer jeweiligen Gesellschaft, und so an deren Mitteln und Möglichkeiten gebunden. Demnach hat die aktuelle gesellschaftliche Situation vor allem Einfluss darauf, wie sich die Szene gestaltet. Die Gestaltung hat nun einen Einfluss darauf, wie sich die Szene "fühlt", oder sagen wir besser, wie ihre Selbstwahrnehmung ist (oder sein kann).
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Re: Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?

Beitrag von Blackshiro »

Ich versteh ehrlich gesagt dieses Internet-Argument nicht.
Ein Clubbesuch ist so viel mehr als nur Musik hören und kann doch nicht ernsthaft mit 'Ich werf ne Paylist auf Spotify an' verglichen werden?

Genauso wie chatten absolut nicht gleichzusetzen ist mit persönlichen Gesprächen.

Natürlich erleichtert das Internet heute den Zugang - nicht nur zur schwarzen Szene, sondern generell eben zu allem außerhalb der eigenen Bubble, sofern man das möchte.
Und ja, gegebebenfalls erleichtert das auch den Aufbau zu Kontakten im echten Leben.

Aber ich versteh dier Argumentation an dieser Stelle trotzdem nicht. Klingt für mich ehrlich gesagt eher nach der üblichen "Die Jugend von heute..."-Meckerleier. Nix für ungut.
'zu' gut geht es 'uns' Jungen nicht. Wir wachsen eben anders auf und das wird sich in der nächsten Generation noch mehr verschärfen. Aber das heißt nicht, dass die Jugend nicht ihre eigenen Probleme hat.

Und dennoch ist alles, was außerhalb des Mainstream passiert etwas, wozu man, grade als junger Mensch, stehen muss - oder halt auch nicht. Man wird heute wie damals schon schräg beäugt, auch wenn die Toleranz im Großen und Ganzen natürlich höher ist.
Clubs muss man, insbesondere im ländlichen Raum, trotzdem noch mit der Lupe suchen.

Für mich klingt der Text ehrlich gesagt hauptsächlich aus 'Früher war alles besser, schwerer und 'echter' und die Jugend von heute macht es sich zu einfach und hat keine ernstzunehmenden Probleme."
Kann man so sehen. FInd ich aber halt ziemlich kleingeistig und absolut unbegründet von oben herab.
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Re: Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?

Beitrag von Selene »

Blackshiro hat geschrieben: Dienstag 11. Juni 2019, 13:58 Ich versteh ehrlich gesagt dieses Internet-Argument nicht.
Ein Clubbesuch ist so viel mehr als nur Musik hören und kann doch nicht ernsthaft mit 'Ich werf ne Paylist auf Spotify an' verglichen werden?

Leider doch, wurde mir direkt auch schon von der „jüngeren Generation“ gesagt.

Genauso wie chatten absolut nicht gleichzusetzen ist mit persönlichen Gesprächen.

Finde ich auch nicht, aber siehe oben....Es gibt junge Leute, die denken das.

Natürlich erleichtert das Internet heute den Zugang - nicht nur zur schwarzen Szene, sondern generell eben zu allem außerhalb der eigenen Bubble, sofern man das möchte.
Und ja, gegebebenfalls erleichtert das auch den Aufbau zu Kontakten im echten Leben.

Sehe ich auch so, sonst wäre ich ja nicht hier. ;)

'zu' gut geht es 'uns' Jungen nicht. Wir wachsen eben anders auf und das wird sich in der nächsten Generation noch mehr verschärfen. Aber das heißt nicht, dass die Jugend nicht ihre eigenen Probleme hat.

Da hast du recht. Man kann die heutige Kindheit und Jugendzeit überhaupt nicht mit unserer vergleichen. Jede Generation hat so ihre eigenen Probleme. Ich bringe da durchaus Verständnis auf, habe aber zugegeben Schwierigkeiten mit Einstellungen wie: „Da fahre ich nicht hin, dass kann ich auch googeln, dann weiß ich, wie es da aussieht.“ oder „Wieso verabreden? Wir haben doch Kontakt über WA, Teamspeak etc.“ Ich glaube, die große Herausforderung der Jugendlichen heute (und auch der älteren ;) ) liegt auch darin, eine gute Mischung zwischen den technischen Möglichkeiten und dem echten Erleben zu finden.
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Re: Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?

Beitrag von Graphiel »

Blackshiro hat geschrieben: Dienstag 11. Juni 2019, 13:58 Ich versteh ehrlich gesagt dieses Internet-Argument nicht.
Ein Clubbesuch ist so viel mehr als nur Musik hören und kann doch nicht ernsthaft mit 'Ich werf ne Paylist auf Spotify an' verglichen werden?

Genauso wie chatten absolut nicht gleichzusetzen ist mit persönlichen Gesprächen.

Natürlich erleichtert das Internet heute den Zugang - nicht nur zur schwarzen Szene, sondern generell eben zu allem außerhalb der eigenen Bubble, sofern man das möchte.
Und ja, gegebebenfalls erleichtert das auch den Aufbau zu Kontakten im echten Leben.
Ich versuche an dieser Stelle mal ein wenig zu erläutern was ich mir bei dieser Textstelle gedacht habe:

In der Zeit vor dem Internet war es praktisch nicht möglich Teil der schwarzen Szene zu werden, ohne dabei das Haus verlassen zu müssen. Der Informationsfluss von Schwarzer Szene zu Normalo war selbstverständlich stärker eingeschränkt. Das ist heute anders. Wenn du es unbedingt drauf anlegst, dann kannst du heute vom heimischen PC aus auch in kurzer Zeit praktisch alles bekommen, was du benötigst, um dich der schwarzen Szene zugehörig fühlen zu dürfen. Von den Klamotten, über die Musik, Infos wo es Clubs gibt die schwarze Musik spielten, Kontakte zu mehr oder weniger schwarzen, etc. Was auch immer du willst. Das war früher halt anders, dass belegen Zeitzeugenberichte. Ob das jetzt besser oder schlechter ist, sei dahingestellt. Dass soll jeder für sich selbst entscheiden. Ich persönlich finde das gar nicht so schlimm. Ich bin selbst kein Grufti der ersten Generation, wie ich ganz zu Anfang meines Eröffnungspost bereits deutlich beschrieben habe. ich bin mit der jetzigen Szenesituation quasi groß geworden und komme daher vermutlich weit besser damit zurecht, als andere. Ich versuche mir aber auch bewusst zu machen, ob wir als Szene für die Verschiebung der äußeren Umstände hin zu einem bequemeren, vielleicht sogar einfacheren Leben (immer im Vergleich zu den Szeneanfängen) nicht auch einen hohen Preis zu zahlen haben. Und zwar den, dass das Wir-Gefühl der Szene einem stärker werdenden Ich-Gefühl weicht, weil es durch den vereinfachten Zugang erheblich leichter geworden ist Szeneelemente in jede mögliche Himmelsrichtung zu interpretieren und neu zuzufügen.
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Re: Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?

Beitrag von Demon89 »

Graphiel hat geschrieben: Dienstag 11. Juni 2019, 15:15 Und zwar den, dass das Wir-Gefühl der Szene einem stärker werdenden Ich-Gefühl weicht, weil es durch den vereinfachten Zugang erheblich leichter geworden ist Szeneelemente in jede mögliche Himmelsrichtung zu interpretieren und neu zuzufügen.
Obwohl ich dem ersten Teil zustimmen möchte, würde ich dennoch diesbezüglich die Frage in den Raum werfen, ob nicht auch schon damals ausreichende Ich-Gefühl-Elemente vorhanden waren?
Gleichsam der zweite Teil deiner Aussage eher schon problematisch ist; denn was sind denn diese Szeneelemente, und wer hat/hatte denn die Deutungshoheit darüber?
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Re: Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?

Beitrag von Selene »

Graphiel hat geschrieben: Dienstag 11. Juni 2019, 15:15 Das war früher halt anders, dass belegen Zeitzeugenberichte.
:) Entschuldige, ich musste gerade so lachen, als ich das gelesen habe.. ;).Meine Güte, ich bin echt alt...Das klingt jetzt so ein bisschen wie „Oma erzählt von früher“, denn ich habe diese Zeit so erlebt. Ich hatte damals eine Klassenkameradin, die „The Cure“ hörte und mir LPs auf Kassette überspielte. Dann entdeckte ich beim damals neugegründeten Radiosender „ffn“ eine Sendung die „Grenzwellen“ hieß und in der alternative Musik vorgestellt wurde. Für mich damals eine völlig neue Erfahrung. Habe oft Sendungen aufgenommen, um mir dann eventuell die Musik zu kaufen. Kaufen war schon das Problem. Ich weiß noch, dass ich für CDs von Wolfsheim oder Phillip Boa extra mit dem Zug in die nächste Großstadt gefahren bin, weil es das hier in den Musikabteilungen nicht gab. Heute erledigst du das mit 3 Klicks am PC oder ein bisschen wischen auf dem Tablet oder Handy. Das genieße ich schon sehr, genauso wie den Austausch im Internet allgemein. Es ist viel leichter, an Infos zu kommen und das finde ich im Vergleich zu früher richtig klasse. Wenn ich so drüber nachdenke, habe ich heute durch das Internet überhaupt erst Wir-Gefühl, denn in meinem direkten Umfeld bin ich mit meiner Einstellung ziemlich alleine bzw. die Leute, die meinen Geschmack teilen, habe ich im Netz kennengelernt (gezielt gesucht). Meine Kontakte zur Szene der 80er/90er Jahre entstanden mehr zufällig.
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Soiled

Re: Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?

Beitrag von Soiled »

Graphiel hat geschrieben: Dienstag 11. Juni 2019, 11:47 "Du interessierst dich für morbide Themen? Du findest die Vorstellungen deiner normalo Mitmenschen seltsam? Du fühlst Dich zu mystischen Dingen hingezogen und hörst Musik, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen? Zieh schwarze Klamotten an und du bist dabei!"
Sehr schön formuliert. ;)
Kann ich so ungefähr unterschreiben, obwohl es bei mir ein paar Jährchen eher war und "Bist Du ein elender Snob, der leidenschaftlich gern die Nase über den Mainstream rümpft?" dazukäme.
Tabuthemen wir Sex, Tod und Gewalt werden schließlich in der bunten Welt reihenweise aufgebrochen und stören kaum mehr wen.
Dem Himmel sei Dank. Zu erwarten, dass die Welt doch bitteschön gegenüber Abweichungen von der monogamen Vanilla Cis-Sexualität intolerant bleiben soll (und dadurch vielen Menschen das Leben zur Hölle macht), nur damit ich mich weiter als etwas "besonderes" fühlen kann, wäre ziemlich arschig. Also, imho.
Im Fetisch-Bereich gibt's ja glücklicherweise noch ein paar andere Sachen neben dem BDSM-/Latex-Schnickschnack, den darf meinetwegen der Mainstream ruhig haben.
- Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?
Nein, ganz sicher nicht. Bedrohungen und Zukunftsangst gab es schon immer und wird es immer geben, im Moment ist z.B. der Klimawandel massiv im Gespräch, wie Du ja schon angesprochen hast.
- Sehr auch Ihr einen Zusammenhang zwischen Szenegefühl und der allegemeinen gesellschaftlichen Situation?
Das auf jeden Fall.
Demon89 hat geschrieben: Dienstag 11. Juni 2019, 15:31 denn was sind denn diese Szeneelemente, und wer hat/hatte denn die Deutungshoheit darüber?
Na ich natürlich. :lol:
Graphiel
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Re: Geht es der heutigen Generation Schwarz zu gut?

Beitrag von Graphiel »

Demon89 hat geschrieben: Dienstag 11. Juni 2019, 15:31 Gleichsam der zweite Teil deiner Aussage eher schon problematisch ist; denn was sind denn diese Szeneelemente, und wer hat/hatte denn die Deutungshoheit darüber?
Das war/ist in der Szene allgemein so ein Problem, wie ich finde. Ich lehne mich jetzt mal etwas aus dem Fenster, indem ich mal sage jede Generation (so auch meine) war immer wahnsinnig gut darin zu erklären, was schwarz sein alles nicht ist. Als ich zur Szene kam waren es hauptsächlich die Cyberleute, welche nach Ansicht meiner damaligen Szenegenossen definitiv nicht schwarz waren. Davor waren es die Metaller, die Emos, usw. Ein endloses Thema

@Selene
Das finde ich interessant, denn so kann man es natürlich auch betrachten. An anderen Stellen lese ich davon, dass das Dank des Internets das Wir-Gefühl heutzutage doch völlig tot sei und jeder einfach nur das macht wozu er Bock hat und sowieso alles voll doof ist. Schön von einer Zeitzeugin auch mal was über die persönlich empfundenen Vorteile zu lesen. Übrigens ist das mit dem "Zeitzeugen" nicht böse gemeint, nur falls das irgendwie komisch rüber kommen sollte. Ich finde es halt total spannend aus der frühen Szenezeit zu hören/zu lesen auch wenn das vielleicht wirklich was von "Oma erzählt von früher." haben mag :D
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