Bedarf es einer Szene um man selbst sein zu können?

Alles über Gothic und die Schwarze Szene.
Soiled

Re: Bedarf es einer Szene um man selbst sein zu können?

Beitrag von Soiled »

Ich glaub man muss hier wirklich unterscheiden zwischen "aktiver" und "passiver" Szene, wie Graphiel bereits in einem anderen Thread angesprochen hat. Demons Ausführungen gehen auch schon in diese Richtung.

Disclaimer: Ich male das jetzt ganz fürchterlich schwarzweiß, folgende Sachen sind eine gnadenlose Übersimplifizierung. Es gibt wohl keinen Menschen, der *ausschließlich* aktiv oder passiv an der Szene teilnimmt.

Also fangen wir mal an: Die "aktive" Szene ist in meinen Augen die, die produziert, organisiert, teilt und Menschen zusammenbringt. Musiker gehören da ganz klar rein, DJs, Künstler, Fotografen etc., aber auch Menschen, die z.B. Musik von obskuren alten Bands hochladen oder ein Forum auf die Beine stellen. ;)
Mit ein wenig gutem Willen kann man auch DIY-Leute da mit reinstecken. Und auch die, die ganz prosaische Sachen übernehmen, wie Beleuchtung auf Konzerten oder Flyer verteilen. Wenn es die nicht mehr gäbe sähe es traurig aus. Klar, nicht jeder Beleuchter ist jetzt zwingend Mitglied der Schwarzen Szene, aber bei kleineren, selbst organisierten Konzerten ist das recht häufig der Fall.

Die "passive" Szene konsumiert das, was die "aktive" Szene produziert oder produziert hat, ob das nun Inhalte oder Strukturen sind. Das hört sich jetzt erst einmal blöd an, ist es aber nicht unbedingt. Wenn das Publikum wegbleibt werden auch die kleinen Konzerte flöten gehen. Wenn keiner mehr CDs kauft werden Musiker vielleicht noch privat ein bisschen weitermachen, aber das war's dann auch schon. Beide Aspekte sind also nötig.
Aber: Wenn man nur und ausschließlich passiv konsumiert ist das in meinen Augen halt schon ein bisschen ... bequem. Man nutzt die Aktivität von anderen aus, quengelt, wenn es einem nicht passt, rührt aber selber keinen Finger, um was dran zu ändern.
Demon89 hat geschrieben: Freitag 3. Mai 2019, 16:24 Die mit vielleicht 14, 15, 16 neu in die Szene Gekommenen
Ha, guter Punkt. Ich greif das mal ohne den folgenden Nachsatz raus, um es auszunutzen. ;)
Also, als ich zur "Szene" hinzugestoßen bin war ich definitiv schon düster veranlagt, keine Frage. Halt das übliche Zeug: Brutale Märchen geliebt, sehr in Richtung Kunst orientiert, Fledermäuse und Rotkehlchen beerdigt, andere Viecher eher seziert ... was man so als Kind halt macht. Oh, und einen Tendenz zum Snobismus hatte ich auch, was ja immer sehr passend und hilfreich ist. :lol:
Musiktechnisch kannte ich mich natürlich kaum aus, gab kein Internet so wie wir es heute kennen. Ich war, was Musik anging, vollkommen abhängig von anderen Leuten, die mir dann mal eine Kassette (ja, wirklich) in die Hand gedrückt haben, oder mich in Clubs mitgenommen. Mit Szenezeitschriften konnte ich damals genauso wenig anfangen wie heute, das war also eine Informationsquelle, die ich nie genutzt habe. Das ging alles, aber wirklich alles über andere Leute. Die haben mir einfach Optionen aufgezeigt, auf die ich nie von selbst gekommen wäre. Und, klar, natürlich hatte ich auch schon damals einen eigenen Kopf und hab nicht alles blind übernommen. Aber trotzdem, es hat mich geprägt, keine Frage. Ohne die damalige "Szene" wäre ich nicht die Person, die ich heute bin. Und ich wurde und werde immer noch von meinem Umfeld beeinflusst - hatte ja bereits an anderer Stelle erwähnt, dass ich es auf Wien schiebe, wenn ich mich mehr in die Klassik-Richtung entwickele. In Kleinkleckersdorf wäre das einfach nicht möglich! Aber in Kleinkleckersdorf würde ich es vermutlich auch nicht vermissen, eben weil ich es nicht kenne ...

Finde ich mich in der heutigen Szene immer und ständig wieder? Nein, ganz sicher nicht. Die ist ja nicht für mich gemacht, ich bin nicht das Zentrum der Welt. Aber ich finde noch genug in ihr, um mit den Leuten dort zu tun haben zu wollen.
Demon89 hat geschrieben: Freitag 3. Mai 2019, 16:24 [Oder wenn Frauen wegen ihrer freien Kleiderwahl an einigen Orten angegafft, angepöbelt oder sexuell belästigt werden - ich könnte verstehen, wenn diese dann doch lieber was anderes Anziehen]
Yep.
Manchmal ist es aber auch nur schlichter Respekt - wenn ich in eine Kirche geh und was schulterfreies anhabe binde ich mir ein Tuch drum und gut. Ist doch wohl das mindeste, was ich machen kann; das heißt doch noch lange nicht, dass ich mich da komplett verstelle oder anpasse.
blacksister´s ghost

Re: Bedarf es einer Szene um man selbst sein zu können?

Beitrag von blacksister´s ghost »

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Re: Bedarf es einer Szene um man selbst sein zu können?

Beitrag von Phönix75 »

Soiled hat geschrieben: Freitag 3. Mai 2019, 08:48
Aber viele Bands würde es aus rein finanziellen Gründen gar nicht geben, wenn es keine "Szene" gibt, die zu ihren Konzerten latscht und CDs und Merchandise kauft.

Da sollte man aber noch einmal genauer differenzieren. Gerade abseits des Mainstreams machen viele Bands eigentlich Musik für einen kleinen Kreis von Interessierten. Da werden halt Auflagen von wenigen Kopien von Tonträgern im Freundes- und Bekanntenkreis und vielleicht noch etwas darüber hinaus herumgereicht usw.. Kleine Konzerte in familiärer Atmosphäre... meist alles gerade so, dass es die Unkosten trägt. Das hat in meinen Augen viel mehr mit Szene zu tun, als dieser von dir angeführte finanzielle Aspekt. Sie machen Musik, weil es ihnen gefällt und sie ein paar Leute, denen es gefällt, daran Teil haben lassen wollen. Mir hat sowas deutlich mehr Spass gemacht, als diese überlaufenen Konzerte und Festivals, wo sich eben der gemeine Wochenend- und Freizeitgrufti in Schale schmeisst, gesehen werden will und mit dem Handy und lautem Gebrabbel die eventuell aufkommende Konzertatmospäre stören will. Keiner dieser Musiker macht das als Vollzeitmusiker, sondern neben einem ganz normalen Job und das ist auch gut so. Das ist authentisch.
Leider gibt es viel zuviele Bands (im Vergleich zu früher), die meinen, ein Stück vom großen Kuchen ab haben zu wollen und ihren Bullshit unter die Masse zu werfen. Quantität, statt Qualität... Masse, statt Klasse.
Nichts ist so, wie es scheint.
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Re: Bedarf es einer Szene um man selbst sein zu können?

Beitrag von Demon89 »

@blacksister´s ghost

Okay, vlt. hilft es ja, das ganze einfach noch mal ganz Allgemein darzustellen.

In der schwarzen Szene tummeln sich Leute unterschiedlicher politischer Ansichten, Religionen, sexuellen Ausrichtungen, etc.
Eine so heterogene Masse ist recht tolerant gegenüber Leuten mit z.B. Depressionen, anderen Sexuellen Vorlieben, uncoolen Hobbies, …

Darum sind diese Leute natürlich lieber innerhalb der Szene unterwegs als im Mainstream, wo sie noch nicht überall anerkannt werden.
Numquam populo crede!

Die Perfektion der Natur liegt in ihrer Unvollkommenheit.

"Mit dem Wissen wächst der Zweifel" (Johann Wolfgang von Goethe)
blacksister´s ghost

Re: Bedarf es einer Szene um man selbst sein zu können?

Beitrag von blacksister´s ghost »

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Soiled

Re: Bedarf es einer Szene um man selbst sein zu können?

Beitrag von Soiled »

blacksister´s ghost hat geschrieben: Samstag 4. Mai 2019, 16:31 sollte dazu stehen, wenn sie unter Stinos is.
Es gibt nun mal Umfelder, wo das nicht so einfach ist. Mit dem "sollte dazu stehen" wäre ich da etwas vorsichtiger. Nudisten sind ja auch immer Nudisten, nur ziehen sie sich aus Rücksicht auf die Gesellschaft dann doch häufiger mal was an. Hältst Du denen auch vor, dass sie nicht ständig nackig rumlaufen?

Ansonsten wäre ich dafür, einfach mal direkt jemanden zu fragen, der die von Dir kritisierte Aussage selbst getätigt hat. In Vorstellungsthreads tauchen doch immer mal wieder Leute auf, die sowas sagen. Hier wäre ja ein Beispiel, und sie hat auch gleich ergänzt, wie sie diese Aussage meint: "Dass ich meine dunkle Seite nicht verstecken muss." Offensichtlich lebt sie also in einem Umfeld, wo sie ihre dunkle Seite verstecken muss, sonst würde sie das doch nicht schreiben ...

Wie sich dieser Zwang jetzt genau äußert - das ist natürlich eine private Angelegenheit; wenn Leute nicht darüber reden wollen ist das ihr gutes Recht, da kannste so neugierig sein wie Du willst. ;)
blacksister´s ghost

Re: Bedarf es einer Szene um man selbst sein zu können?

Beitrag von blacksister´s ghost »

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Re: Bedarf es einer Szene um man selbst sein zu können?

Beitrag von Graphiel »

Soiled hat geschrieben: Sonntag 5. Mai 2019, 09:09 Es gibt nun mal Umfelder, wo das nicht so einfach ist. Mit dem "sollte dazu stehen" wäre ich da etwas vorsichtiger. Nudisten sind ja auch immer Nudisten, nur ziehen sie sich aus Rücksicht auf die Gesellschaft dann doch häufiger mal was an. Hältst Du denen auch vor, dass sie nicht ständig nackig rumlaufen?
Darf ich dich darauf aufmerksam machen, dass diese "Rücksichtnahme" auch aus Angst vor einem Bußgeld entstanden sein könnte? Auf uneingeschränktes nackt herum laufen steht laut Bußgeldkatallog Paragraph 119 darauf ein Bußgeld wegen "Belästigung der Allgemeinheit". Ich habe noch nie davon gehört, dass Punks oder Gothics (zumindest heutzutage) aufgrund ihrer Erscheinung damit zu rechnen haben. Von daher hinkt der Vergleich leider ein wenig.

Und überhaupt: Gehört anecken nicht auch irgendwie mit zum schwarz sein dazu? Ich kann ja verstehen, dass ich hier und da ein paar Schritte auf meine bunten Mitmenschen zugehen muss, wenn davon beispielsweise mein Job abhängt (hat ja leider nicht jeder eine so wichtige Position im Job, bei der man selbst mit Pikes, aufgestellten Haaren, voll geschminkt, usw unverzichtbar bleibt), aber "verstecken"? Das mache ich ja noch nicht einmal für meine eigene Familie. :lol:

Edit sagt:
@blacksister´s ghost
Warst etwas schneller mit dem rechtlichen Kram
"Sowas kann doch nur Leuten einfallen, die in Assoziationsspielchen neben Hund, Katze und Maus auf "Hmm.... Schwingschleifer!" kommen, oder?" - Barlow
blacksister´s ghost

Re: Bedarf es einer Szene um man selbst sein zu können?

Beitrag von blacksister´s ghost »

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Soiled

Re: Bedarf es einer Szene um man selbst sein zu können?

Beitrag von Soiled »

Graphiel hat geschrieben: Sonntag 5. Mai 2019, 09:54 Darf ich dich darauf aufmerksam machen, dass diese "Rücksichtnahme" auch aus Angst vor einem Bußgeld entstanden sein könnte?
Auch Homosexualität war mal strafbar. Ist es in nicht so wenigen Ländern immer noch. Und es wurde hier nur geändert, weil sich Leute jahrzehntelang dafür eingesetzt haben ...
Geschriebenes Recht ist nur eine Manifestation von Überzeugungen und Werten einer Gesellschaft. Und unsere Gesellschaft ist nun mal chronisch körperfeindlich, leider, aber da geh ich jetzt nicht näher drauf ein, weil das ein anderes Thema ist.
Und überhaupt: Gehört anecken nicht auch irgendwie mit zum schwarz sein dazu?
So wie es zu jeder Jugend- bzw. Subkultur dazugehört. :D